Lénárd, Sándor

Über den Autor:

von Gudrun Brzoska

Im Anhang schreibt Ernő Zeltner eine Biografische Notiz, welche ich mit den Daten aus György Dalos‘ Essay am Ende des Buches und mit einem Teil der ausführlichen Bemerkungen von Péter Siklós ergänzen möchte:

Sándor Lénárd wurde am 9. Mai 1910 in Budapest geboren. Er hatte noch eine jüngere Schwester, Johanna, und einen Bruder Carl, der 1944 ermordet wurde. Ihm hat er eine ganze Reihe von Gedichten gewidmet. Der Ausbruch des 1. Weltkrieges veränderte das glückliche Leben der Familie von Grund auf. Der Vater wurde eingezogen, geriet in Gefangenschaft und kam erst Anfang 1919 wieder nach Hause.

Mittellos und im Gefolge der kurzen Räterepublik auch arbeitslos, zog der Vater mit Sándor nach Wien, während die Mutter mit der jüngeren Schwester vorerst in Budapest blieb. Sándor war sehr sportlich, aber auch sprachbegabt und dichterisch veranlagt. Schon als Schüler übersetzte er die ungarischen Lyriker Petőfi und Heltai ins Deutsche und versuchte Goethes Faust ins Ungarische zu übertragen.

1928, nach dem Abitur schwankte er lange, in welche Fakultät er sich einschreiben solle, entschied sich schließlich für Medizin. Er reiste viel als Student, lernte Sprachen, studierte die Fächer seiner Neigung, Philologie und Philosophie in den Bibliotheken. 1936 heiratete er seine erste Frau, von der er einen Sohn, Hans-Gerd bekam. Es ist nicht bekannt, ob er sein Arztdiplom machte. Die Literatur zog ihn stärker an (Siklós). Er übersetzte viel, gab mit anderen schreibenden Medizinern eine Gedichtsammlung heraus.

Im Spätsommer 1938 emigrierte er nach Rom, nachdem er seine Studentenverbindung hatte verlassen müssen und erkannt hatte, dass für jüdische Mitbürger kein Platz mehr in Österreich war.

Diana traf er 1942 in einem römischen Verlag, wo sie als Sekretärin arbeitete. Wegen seiner fehlenden Papiere konnten sie erst 1950 heiraten. Anfang 1946 bekam Diana einen Sohn – Lénárd musste jetzt für drei sorgen.

Alle seine Kenntnisse und jede Gelegenheit zum Brotverdienen nutzte er. Er warHeiler, Fremdenführer, Übersetzer, Schriftsteller und Musikus.

Die instabilen politischen Verhältnisse, sowie der sich zuspitzende Ost-West-Konflikt ließen in der kleinen Familie die Überzeugung aufkommen, dass Italien nicht weiter das Land ihrer Zukunft sein konnte. Am 15. Februar 1952 gingen die Lénárds nach 14tägiger Schiffsreise in Rio de Janeiro an Land.

Im französisch-brasilianischen Unternehmen einer Bleimine kam der Arzt als Feldscher unter. Außerhalb seiner Arbeitszeit fungierte er als Unfallchirurg, Geburtshelfer, Kinderarzt, Krankenpfleger und in vielen weiteren Aufgaben. Schon ein Jahr später verließ er den krankmachenden vergifteten Ort. Von 1953-56 stieg er bei dem Chirurgen Dr. Egberto Silva in São Paulo als Assistenzarzt ein.

Ein wichtiges Ereignis fiel in diese Zeit: 1955 gewann er in einem Fernsehquiz mit seinem Spezialgebiet Johann Sebastian Bach 200 000 Cruzeiros. Damit war er in der Lage, sich ein Haus im klimatisch günstigeren Tal von Blumenau zu bauen und eine „Dschungel-Apotheke“ einzurichten.

1968 unterrichtete er einige Zeit in den USA an einem College Latein und Altgriechisch. Während dieser Zeit wurde er fälschlich als KZ-Arzt Dr. Mengele verdächtigt. Doch schnell wurde er rehabilitiert, da sich Bekannte, Freunde und Patienten für ihn einsetzten.

Am 13. April 1972 starb der Autor und Arzt an einem Herzinfarkt. Voraussichtig hatte er seine eigene Todesnachricht in mehrsprachigen illustrierten Anzeigen verfasst. Und wie er es sich gewünscht hatte, erklang an seinem Grab in Dona Emma die h-Moll-Messe von Bach.

 

Lénárd schrieb einige Bücher, die vor den 2000er Jahren auch in Deutschland erschienen: „Ein Tag im unsichtbaren Haus“, „Die Kuh auf dem Bast“, „7 Tage Babylon“. Dazu ein Kochbuch „Die Römische Küche“. „Römische Geschichten“ hat er auf Deutsch und Ungarisch geschrieben. Auch Gedichte sind von ihm erhalten, dazu einige Aufsätze in Zeitungen. Was noch fehlt, sind seine Briefe an seine Söhne auf Deutsch.

Neben eigener Dichtung hat Sándor Lénárd auch einige wichtige Werke übersetzt, so z. B. „Das Halsband der Königin“ (über Marie Antoinette) von Antal Szerb. Darüber kam er mit der Witwe Klára Szerb in Korrespondenz. Sie ermunterte ihn zu weiteren eigenen Büchern, u.a. zu „Römische Geschichten“ und „Ein Tag im unsichtbaren Haus“.

In einigen Rezensionen habe ich gelesen, wie gern die Rezensenten noch Weiteres von Lénárd lesen würden. Ich auch! Es wäre sicher eine verlegerische Tat, weitere Bücher von Lénárd, der unbestreitbar ein großes schriftstellerisches Talent besaß und mitreißend und kurzweilig erzählen konnte, zu publizieren – sowohl diejenigen Bände neu aufzulegen – man müsste sie nicht einmal übersetzten – die es hier schon einmal gab, als auch noch im Deutschen unbekannte, aufzuspüren.

Wie György Dalos schreibt, hat der Autor auch in seinem Heimatland Ungarn noch nicht den ihm gebührenden Stellenwert gefunden. Da das Deutsche der ungarischen Literatur oft den Weg ebnet(e), könnte hier einmal mehr eine Vorreiterrolle gespielt werden.

Sein größter Erfolg war aber zweifellos die Übersetzung von A.A. Milnes Kinderbuch „Winne-the-Pooh“ ins Lateinische. 1960 stand das Buch zwanzig Wochen auf der Bestsellerliste der New York Times. Damals wurde halt noch Latein gelernt – auch in Amerika!

 

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