Rezension: Rózsa, Ágnes – „Solange ich lebe, hoffe ich“

Aufzeichnungen des ungarischen KZ-Häftlings Ágnes Rózsa 1944/45 in Nürnberg und Holleischen
Aus dem Ungarischen von Monika Wiedemann
Verlag: Testimon, ISBN: 978-3-00-019674-4
Originaltitel: “Jövölesök” und „Nürnbergi Napló“
Bestelladresse: Verlag Testimon, Postfach 119145, 90101 Nürnberg

 

Den erschütternden „Tagebuch-Briefen“ sind mehrere Vorworte, bzw. Berichte vorangestellt, den Schluss des Buches bilden verschiedene Abbildungen.
Die Aufzeichnungen beginnen am 28. Mai 1944 in Nagyvárad / Großwardein, heute Oradea (Rumänien).
Vom Speicher aus beobachtet Ágnes Rózsa den bereits zweiten großen Judentransport, weiß, dass sie am nächsten Tag mit ihren Eltern dabei sein wird und berichtet von vielen Menschen, die in ihrer ausweglosen Lage Selbstmord verübt haben, oder dann, wenn sie von den Foltern zurückkamen. Das Schlimmste sei, dass bis dahin noch niemand weiß, wohin sie gebracht würden – und was sie dort erwarten wird. Ihr Mann wurde schon drei Monaten zuvor als Zwangsarbeiter verschleppt. Das ganze Tagebuch wird ein einziger großer, nie abgeschickter Brief an ihn sein. Damit hält sie sich am Leben.
Die nächsten Eintragungen stammen aus Nürnberg, vom 5. Dezember 1944. Da hat sie Auschwitz schon hinter sich, die Erinnerungen daran verfolgen sie ständig. Zunächst ist sie froh, dass sie arbeiten darf; denn Arbeit, die etwas wert ist und anerkannt wird, macht sie wieder zu einem Menschen. Immer wieder kommt das Entsetzen in ihr hoch über die Entwürdigungen in Auschwitz, als die SSler ihnen mit andauernden Demütigungen das Menschsein zu nehmen versuchten. Dazu kam der fast nicht zu ertragende Hunger, der Schmutz, die hygienischen Verhältnisse. Die nackte Überlebensnot hat den Widerstand aller gebrochen, aus Menschen Abfall gemacht. Auch hier in Nürnberg reduziert sich das Leben der Entrechteten fast ausschließlich auf die allerprimitivsten Bedürfnisse des Körpers. So stehlen sie sich gegenseitig Essen, spielen errungene Privilegien gegeneinander aus. Sie selbst sorgt sich um ihren Mann, der seit Monaten nichts mehr von ihr gehört hat. Einzig dass er nicht da ist – und all dieses nicht durchmachen muss – macht sie glücklich. Sie redet sich immer wieder ein, dass er inzwischen wieder frei sei und auf sie warte.
Ágnes beobachtet alles, schreibt es in Stichworten und Abkürzungen auf ihre Blätter, hat ständig Angst, sie könnte dabei erwischt werden; denn das hätte ihren sicheren Tod bedeutet. Sie ist keine von den Robusten, kann nur wenige Male Kartoffeln oder Rüben stehlen, die sie roh und dreckig isst. Mit Éva ihrer Lagerschwester und Vertrauten versucht sie immer wieder Gespräche zu führen, die Menschlichkeit auch im Lager nicht zu vergessen. Da sie gewissenhaft arbeitet, werden ihr schwierigere Aufgaben zugeteilt. Doch allmählich kommt ihr in den Sinn, dass sie für die arbeitet, die sie ermorden wollen. Geradezu paradox scheint dem Leser, wie sie mit Freude beobachtet, wie der Schnee auf den Bäumen liegt, wie sich das Draußen vor dem Stacheldraht verändert, je nach Wetterlage, bemerkt, wie die „Sonne wie eine glühende Orange aufgeht“, als sie bei einem der unzähligen und langen Appelle in der Eiseskälte steht, so dass ihre Schuhe am Boden festfrieren. Die Schönheit der Natur tut ihr weh, „denn also gibt es noch eine Welt der Schönheit und Güte“, aber nicht für sie, die Gefangenen. Zunehmend wird aber auch Ágnes apathisch.
Am 28. Februar 1945 schreibt sie, dass sie den weggeworfenen Mantel einer SS-Frau angezogen habe. Sie will sterben; denn wenn man sie damit erwischt, wird sie erschossen. Sie kann und will nicht mehr. Nur noch etwas Wärme für die letzten Stunden. Eine Kameradin kann ihr den Mantel wieder abnehmen – und damit ist sie „gerettet“. Schon zwei Tage später kehrt ihre Lebensfreude zurück, als sie beim Ziegel klopfen in der Stadt unter den Trümmern einen Gedichtband in französischer Sprache findet. Weil die Siemens-Werke zerstört sind, werden die Frauen am 3. März 1945 verlegt. Am 12 März schreibt sie nach ihrer Ankunft in Holleischen, dass ihr bisheriger Wächter den Transport mit den Worten übergeben hatte: „Diese Frauen verbrachten drei Wochen ohne Essen und Trinken im Bunker (in Nürnberg) und haben soviel durchlebt, dass es auch für manche Männer zu viel gewesen wäre“. Eine der SS-Frauen staunt: „Gibt es noch Juden?“ Noch arbeiten die Frauen nicht, sie sind zu geschwächt, Ágnes versucht sich abzulenken und liest den ganzen Tag in den Gedichten: „Die Wörter haben Gewicht“. Mit zwei anderen Frauen versucht sie die Jugendlichen auf das Leben „draußen“ vorzubereiten. Sie müssen dort alleine zurecht kommen, ohne Familie. Auch sollen sie nicht glauben, dass alle Menschen schlecht seien. Die Tage vergehen zäh zwischen Hoffen und Bangen: die Aufseher versuchen bereits, sich einzuschmeicheln, – dann wieder müssen die Frauen im Steinbruch arbeiten – eine Abwehr wird aufgebaut, – die Fabrik wieder zerbombt. Im Lager weiß jede, dass sie schreibt, außer den Aufseherinnen – und einmal entgeht sie nur knapp dem Todesschuss, als sie ihr Tagbuch erst in letzter Minute verstecken kann. Am 28. April schreibt Ágnes, wenn sie nicht die Schönheit der Sprache eines Rilke, Thomas Mann oder Heine gelesen hätte, würde sie an der verrohten plumpen Sprache verzweifeln, die hier im Lager herrscht. Sie überlegt auch, wie man denen, die all das nicht erlebt haben, begreiflich machen könnte, wie das Leben ist, das sie durchmachen müssen. Selbst ihr ist jetzt schon die Auschwitzer Wirklichkeit unbegreiflich.
Mit Verspätung erfahren sie, dass erst Mussolini, dann Hitler tot sind. Trotzdem ändert sich nichts. Für sie geht der Krieg weiter. Am 7. Mai 1945 schreibt sie dann aber aus Stankau, einer tschechischen Stadt nahe Pilsen, dass das Lager von Partisanen und Amerikanern befreit worden war. Ágnes geht sofort los mit einer kleinen Gruppe von Frauen, gesichert von den Soldaten. Sie will nur noch heim, zu ihrem Mann. Sie schreibt, dass die tschechische Bevölkerung unglaublich fürsorglich mit ihnen umgeht, Sie erfahren von den „Todesmärschen“ der Zwangsarbeiter, hören davon, dass die SS ab dem 5. Mai in Prag noch einmal ein entsetzliches Blutbad voll Hass und Rache angerichtet hat. Vom Fenster aus sehen die Frauen auch die Reaktionen: Deutsche Soldaten werden mit Fäusten traktiert, kahl geschorene Frauen abgeführt. Ágnes ist entsetzt von dem, was sie sieht: Zusammen geschlagene Deutsche müssen all das tun, wozu man vorher die Gefangenen gezwungen hatte. Sie aber fragt sich, wie jemand, der selbst gelitten hat und weiß, was leiden bedeutet, anderen Menschen Leid zufügen kann? „In was unterscheiden wir uns dann von denen, wenn wir das Gleiche tun?“
Sie nimmt die erste Möglichkeit wahr, nach Siebenbürgen zu kommen. Damit brechen die Aufzeichnungen ab.

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