Rezension: Gárdonyi, Géza – „Idas Scheinehe“

Roman
Aus dem Ungarischen von Clemens Prinz
Verlag: Kortina, 2008; ISBN: 978-3-9502315-5-7
Originaltitel: Ida regénye
Bezug: Buchhandel Preis: Euro 19.90

Der junge Maler Csaba Balogh überlässt seiner Schwester Jolán nach dem Tod der Eltern sein Erbe. Er hofft, von den Zinsen des Gutes weiterstudieren – und ein berühmter und fähiger Maler werden zu können. Doch es kommt anders. Jolán heiratet den Sekretär des Dorfnotars, der sich als notorischer Spieler entpuppt und mit seinen Schulden die Familie dem Abgrund zutreibt. Csaba überlässt der Schwester alles, was er hat, ist völlig mittellos und muss sich als Zeitungsschreiber durchs Leben schlagen. Als ihn die Nachricht erreicht, dass das Gut gepfändet wird, wenn nicht binnen kurzer Zeit die Spielschulden des Schwagers bezahlt seien, erfährt er von einem kuriosen Inserat, in dem ein Vater für seine Tochter einen Ehemann sucht und 300 000 Kronen in bar als Mitgift bietet. Csaba ringt lange mit sich, doch in seiner Verzweiflung antwortet er schließlich auf die Annonce. Einige Zeit später macht sich Péter Ó, der Vater, Weingroßhändler in Budapest, mit ihm bekannt, räumt alle Bedenken aus, dass seine Tochter etwa alt, hässlich oder krank sein könne und möchte nur so bald als möglich die Hochzeit anberaumen.
Unterdessen erfährt der Leser von Kindheit und Jugend der jungen 19jährigen Ida.
Der lebenslustige Vater, der gern mit dem weiblichen Geschlecht anbandelt, wollte die Tochter nach dem Tod seiner Frau so bald als möglich loswerden und steckte sie in ein Klosterinternat. Dort verbringt Ida ihre gesamte Jungmädchenzeit. Nicht einmal zu den Ferien oder Feiertagen holt der Vater sie heim. Ida lernt gut, doch nichts, was man im täglichen Leben praktisch anwenden könnte. In den Augen der Nonnen ist alles verwerflich, was sich nicht direkt mit Religion und Glauben beschäftigt – und so werden die Mädchen völlig ahnungslos und unaufgeklärt aufgezogen. Von den externen Mitschülerinnen erfahren die staunenden Klosterzöglinge zwar so manch „aufregendes“ Geheimnis, doch fürs wirkliche Leben nützt ihnen das nichts. Gárdonyi lässt sich im Laufe seiner Erzählung mit köstlichem Spott und manchmal sarkastischer Ironie darüber aus. Als Ida ihr Abitur gemacht hat, hätte der Vater sie gern ganz im Kloster gelassen, doch Ida ist ein mutiges und willensstarkes Mädchen. Als Hilfslehrerin schützt sie eine Schülerin, bei der ein Liebesbrief gefunden wird, beide fliegen aus dem Kloster. Endlich ist Ida aus diesem Gefängnis erlöst. Das hatte sie sich schon immer gewünscht: Die Freiheit! Im Haus des Vaters spürt sie jedoch, dass sie unerwünscht ist, glaubt, dass der Vater, von dessen Lebemann-Leben sie nichts ahnt, sich von der leichtlebigen Tochter ihrer ehemaligen Amme einwickeln lässt, merkt, dass er sie loswerden will. Mit dem Geld, das der Vater ihr anbietet, kann sie nichts anfangen. Eine kleine Freiheit gönnt sie sich; sie liest Zeitung, kauft Bücher, die sie im Kloster nicht lesen durfte und entdeckt so eines Tages, dass in der Rubrik Heiratsanzeigen eine Annonce ausgeschnitten ist. Sie geht der Sache auf den Grund, lässt sich eine neue Zeitung besorgen und liest darin, dass ihr eigener Vater sie gegen Mitgift anbietet. Am liebsten hätte sie sich umgebracht vor Scham! Irgendwann beschließt sie, sich in ihr Schicksal zu ergeben, eine gehorsame Tochter und Ehefrau zu sein. Hauptsächlich aber will sie weg von zu Hause. Sie besorgt sich Bücher: „Das Gesetzbuch zur Ehe“ und „Sammlung interessanter Scheidungsfälle“. So gewappnet kommt der schicksalsschwere Tag, an dem sie dem völlig unbekannten Bräutigam vorgestellt wird: „Herr Csaba Balogh“, sagt der Vater „Dein Ehemann. Morgen Nachmittag heiratet ihr“. Auch Csaba ist wie vor den Kopf gestoßen, versucht die Situation etwas abzumildern. Beide sind stolz bis zur Sturheit, wollen ihre Verletzungen nicht zeigen und nun beginnt eine Reihe von Missverständnissen, die den Leser von heute immer wieder schmunzeln lässt: Csaba weiß nicht, dass Ida ohne gefragt worden zu sein, verheiratet wird, Ida weiß nicht, dass Csaba aus Not heiratet, um seiner Schwester zu helfen. Csaba denkt, sie habe sich etwas zu Schulden kommen lassen und würde deshalb verheiratet, Ida glaubt, dass er nur ein gemeiner Mitgiftjäger sei. Immerhin lässt sie ihn schwören, dass er sie im privaten Bereich nicht anrühren würde, dass er sich nach einem Jahr wieder von ihr scheiden ließe; denn Bedingung des Vaters ist, dass sie ein Jahr zusammen bleiben – und dass sie im Gegenzug in der Öffentlichkeit die liebende Ehefrau spielen würde.
Csaba kann es oft nicht fassen, dass Ida von nichts eine Ahnung hat, doch sie lernt schnell und begierig. Sie gibt sich unnahbar und arbeitet nur darauf hin, möglichst bald allein und selbstständig ihr Leben meistern zu können, „romantische Liebe nicht ausgeschlossen“. Die Hochzeitsreise geht nach München zu den Malerfreunden. Hier lernt Ida schon ein wenig vom sorgenvollen, aber auch fröhlichen Alltag derer kennen, die nicht so behütet aufgewachsen sind wie sie. Sie lernt Könner und Scharlatane kennen und mit ihnen das Wesen von wirklicher Kunst. Immer wieder einmal erhält Csaba Post aus Ungarn. Von einer Frau – Ida „fallen“ die Briefe in die Hand – und da sie nichts von der Schwester ahnt, meint sie nun, dass Csaba deswegen hinter ihrem Geld her war, damit er sich mit dieser Frau später verheiraten könne. Doch Csaba stellt immer wieder seine Lauterkeit und seinen Edelmut unter Beweis. Auch er wird eifersüchtig auf einen jungen Malerkollegen, der Ida den Hof macht – und als er sich schließlich mit seinem Freund duellieren will, Ida davon erfährt und versucht die Sache zu vereiteln, da erkennen Beide, dass sie sich in diesem Jahr lieb gewonnen haben und noch einmal von vorne beginnen wollen, als richtige Eheleute.
Natürlich ahnt und weiß der Leser sehr bald, worauf diese Geschichte hinaus laufen muss, doch es ist ein herrlicher Lesespaß, wie Gárdonyi die Beiden immer wieder auflaufen lässt in ihren Vorstellungen von Liebe und Leben. Liebe, das kann für sie in einer erzwungenen Heirat doch gar nicht in Frage kommen! Den Roman kann man auch als Entwicklungsroman lesen, eine Entwicklung, die Beide durchmachen: Ida entwickelt sich vom ahnungslosen romantischen und überempfindlichen Backfisch zur selbständigen Frau – und Csaba von einem jungen Mann, der nur seine Maximen gelten ließ zu einem reifen Maler, der Rücksicht zu nehmen lernt, der sich in einen anderen hineinversetzen kann, der auch anerkennt, dass ihm die unbekannte Ida als Muse und Frau unentbehrlich geworden ist. Die Geschichte der Beiden fängt da an, wo die meisten Romane des frühen 20. Jahrhunderts endeten: Mit dem Anderen das Zusammenleben lernen, sich in der Not beistehen, den Anderen nicht im Stich lassen. Gárdonyi macht sich immer wieder liebevoll-ironisch über die beiden Liebenden, die das so gar nicht sein wollen, lustig. Um mit anderen Rezensenten zu sprechen, ein richtig schöner Schmöker, der sicher vielen Lesern Vergnügen bereiten wird, besonders auch durch die schöne einfühlsame Übersetzung von Clemens Prinz.

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