Rezension: Gruenau, Benito von – „Ein Paradies für kurze Ewigkeiten“

Roman
Bearbeitet von Michael Zuch
Verlag Hunnia UG, 2010
ISBN: 978-3-00-032639-4
Bezug: Buchhandel; Preis: 9,95 Euro

Dieser Roman ist das erste Buch, das die Unternehmensgruppe Hunnia herausgibt, ein Versuch, unbekannte ungarische Autoren hierzulande bekannt zu machen. Ein gelungenes Unterfangen, wie ich meine:
Der Erzähler Benito von Gruenau (Pseudonym) widmet den Roman seinem geliebten Großvater, der ihm viel aus der Zeit des 1. Weltkrieges erzählt hat. Doch auch viel Fantasie musste Gruenau zu Hilfe nehmen, was den Roman ungemein lebendig und farbig macht.
Die Geschichte reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück, als die Gegend um Poldigaß (Boldogasszonyfa – Nähe Plattensee) bis ins heutige Slawonien und Kroatien von den Türken entvölkert wurde. 200 Jahre später siedelt ein Baron Igmándy deutsche Siedler in Poldigaß an, darunter einen jüdischen Schafhirten Ignaz Kern aus Kufstein. Die Kerns sind bald angesehene Leute im Dorf, sprechen ungarisch, sind assimiliert und so arm, dass sie niemandes Neid hervorrufen. Ihren Schafen, auf die sie so stolz sind, als wären es die eigenen, geht es weit besser im zweistöckigen Stall mit bestem Futter, als ihnen in einem einzigen Wohnraum. Trotzdem ist Poldigaß das Paradies für die Familie, alle sind glücklich und zufrieden. 1913 heiratet der einzige Sohn Áron die Katholikin Anna. Sie leben beide als Außenseiter der Gesellschaft: Áron als armer Jude, Anna, nicht hübsch genug für die männliche Dorfjugend, traurig und in sich verschlossen. Sie finden sich und lernen sich zu lieben. Ihr Sohn Sebastian wird am 27. Juli 1914 geboren, dem Tag, als Österreich Serbien den Krieg erklärt. Fast unmerklich, aber dann immer schneller, beginnt sich das Paradies aufzulösen.
Zwei weitere Familien kommen ins Spiel: Die ungarische Familie Cippán, die in Slawonien lebt, zur Zeit des Kriegsausbruchs bereits vier Kinder hat. János Cippán wird nicht eingezogen, aber sein Freund Karl Steinmacher, der sich sosehr in ein ungarisches Mädchen verliebt hat, dass er ungarisch lernt, sich Károly nennt, um seine geliebte Rosi heiraten zu können. Gleich nach der Hochzeit muss er abmarschieren. Er verspricht seiner jungen Frau, bestimmt wieder zu ihr zurück zu kommen.
Der Krieg bringt die drei Familien in Beziehung: Károly und Áron lernen sich als Angehörige von Minderheiten in ihrer Kompanie kennen und werden Freunde. Familie Cippán nimmt sich der jungen Frau Rosi an. Der zweite Sohn der Cippáns, Joschka, ist der Großvater des Erzählers. So schließt sich wieder ein Kreis.
Überhaupt – es schließen sich immer wieder Kreise in diesen Erzählungen, die das Leben der Daheimgebliebenen farbig und temperamentvoll schildern – und das Leben im Krieg von vielen Seiten beleuchten. Dabei werden keine grausamen Szenen geschildert, eher geht es um die Überlegungen von Treue und Verrat, von Moral und Vertrauen. Darum, dass niemand in seinem Schmerz um die Gefallenen ganz alleine und verlassen ist. Károly und Áron treffen immer wieder auf Menschen, die hinter die Geschichte schauen, die spüren und wissen, was gespielt wird. Nicht zuletzt steht über allem die Liebe, um deretwillen die Helden viel auf sich nehmen: Károly lernt z.B. ungarisch schreiben, um mit seiner Rosi in Kontakt bleiben zu können; dafür bringt er Áron die deutsche Rechtschreibung bei, um Anna seine Feldpost schicken zu können.
In vielen spannenden Einzelheiten erzählt von Gruenau die Hintergründe des Krieges, fügt alle relevanten historischen Gestalten, vom österreichischen Kaiser bis zu seinen Generälen ein. Manche Kapitel lesen sich wie ein spannender Abenteuerroman, etwa als es darum geht, wie Károly und Áron rechtzeitig einen Hinterhalt bemerken, in dem ihr General Arz gefangen genommen werden soll.
Mit zärtlichem Humor beschreibt er die einfachen, die kleinen Leute, die jedem Leser gleich ans Herz wachsen – und mit grimmiger, ja sarkastischer Ironie die Großen der Geschichte, die den Krieg über ihre Völker gebracht haben, ebenso wie die Feinde Ungarns, besonders die Rumänen.
Dem aufmerksamen Leser entgeht nicht, dass es immer wieder Parallelen gibt zwischen den Kapiteln, die im Paradies der Protagonisten spielen, einem Paradies, in das auch schlechte Gewohnheiten und Hinterlist Einzug halten, und den verschiedenen Kriegsschauplätzen von Rumänien über Baden bei Wien bis nach Italien, zu den Isonzoschlachten.
Ein Epilog bezeugt, dass die Paradiese endgültig zerbrochen sind, dass sich aber die drei Familien mit ihrer Liebe und ihren Erfahrungen sicher wieder ein neues, wenn auch nur ganz kleines persönliches Paradies schaffen können.

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