Rezension: Rubin, Szilárd – „Kurze Geschichte von der ewigen Liebe“

Roman
Aus dem Ungarischen von Andrea Ikker
Verlag: Rowohlt, 2009; ISBN: 978-3-87134-631-6
Originaltitel: Csirkejáték, 1963
Bezug: Buchhandel Preis:Euro 17.90

Rubins Beziehungsdrama, das 1963 in Ungarn erschien, heißt im Originaltitel „Hühnchenspiel“. Damit bezieht sich der Autor auf das Lebensgefühl seines Protagonisten Attila Angyal, genannt Till, der sich einem Freund gegenüber äußert: In den USA gäbe es das Spiel „Chicken Run“, bei dem es darauf ankomme, so lange vor dem heranbrausenden Zug auf den Gleisen zu bleiben, wie möglich. Aber auch der deutsche Titel „Kurze Geschichte von der ewigen Liebe“ ist beziehungsreich: Die Liebe soll ewig dauern, doch die Geschichte ist kurz, schlägt sie doch sehr bald in Obsession auf der einen und in Ablehnung auf der anderen Seite um.
Im Klappentext des Verlages heißt es „ sie lieben und sie hassen sich. Und können doch nicht voneinander lassen“. Ein junges Paar, kurz nach dem 2. Weltkrieg im Dreieck Pécs, Mohács, Szekszárd. In Budapest wird zwar studiert, aber das eigentliche Leben spielt sich im geliebten Südungarn ab. Rubin lässt seinen Roman über den Zeitraum von 30 Jahren spielen, bis zum Jahre 1976, wobei der Autor bis in die Zukunft vorausgreift. Vor dem angedeuteten geschichtlich-politischen Hintergrund, Ende des 2. Weltkrieges, Vertreibung oder Enteignung der Ungarndeutschen, Machtergreifung der Kommunisten und die darauf folgende Desillusionierung der Menschen, besonders der jungen Studenten, führt uns Rubin ein zwischenmenschliches Drama um Liebe, Macht und Unterwürfigkeit vor Augen, wie es moderner nicht sein könnte:
Der junge, aus ärmlichen Verhältnissen stammende Student und Icherzähler Attila hat sich unsterblich in die schöne Orsolya Carletter verliebt. Sie kommt aus einer großbürgerlichen ungarndeutschen Apothekerfamilie, die 1940 aus Siebenbürgen vertrieben wurde und nun nach dem Krieg in Mohács auftaucht. Die Familie lässt den jungen Emporkömmling, dessen Vater Jude war und in einem Arbeitslager umkam, spüren, dass er nicht zu ihnen passt. Die kapriziöse Orsolya glaubt aber an das Talent des angehenden Schriftstellers und hält zu ihm. Für die Familie ist es außerdem geraten, im aufkommenden kommunistischen Regime die Beiden gewähren zu lassen – und für Till erweist es sich von Vorteil, dass er in der vornehmen Familie Lebensart lernt. Er kann allerdings nicht „aus seiner Haut heraus“, und so gelingt es ihm auch nicht, „es“ der Familie „zu zeigen“, indem er etwas Großes leistet. Im Gegensatz zu seinen Jugendfreunden, die sich arrangieren und in Arbeits- und Lebensverbindungen einwilligen, die sie früher als total angepasst abgelehnt hatten, bleibt er seinem Leben als „Traumtänzer“ treu.
Hin und her gerissen zwischen Überheblichkeit und Minderwertigkeitskomplexen, verliert Till seine Orsolya immer mehr, je heftiger er sie bedrängt und ganz zu besitzen versucht.
Beide kennen die Schwächen des Anderen sehr genau und fügen sich mehr und mehr Verletzungen zu, rächen sich für Demütigungen, um dann – Attila, bis zur Selbstaufgabe – um Verzeihung zu betteln, oder – Orsolya, sich um des lieben Friedens willen – wieder und wieder hinzugeben.
Es gelingt Till sogar, Orsolya so weit zu bringen, ihn zu heiraten. Er hat einen zwar schlechten, aber systemkonformen Roman geschrieben und damit plötzlich viel Geld in der Tasche, kann sich damit aber nicht Orsolyas Bewunderung erringen, ganz im Gegenteil, sie verachtet ihn ob seines Opportunismus’; auch seine Freunde wenden sich geringschätzig ab.
Schon in der Hochzeitsnacht ringt sie ihm das Versprechen ab, in die Scheidung einzuwilligen, mit der Zusicherung, dann wieder seine Geliebte sein zu wollen.
Während Till seiner verlorenen Liebe voll Eifersucht überallhin nachjagt, sie als Apothekerin schließlich mit einem Liebhaber, einem gestandenen Kommunisten und Militäringenieur aufspürt und dort eine schreckliche Szene macht, hat sich Orsolya, die das Bohème-Leben satt hat, immer mehr vor ihm zurückgezogen.
Bemerkenswert ist Attilas Albtraum, ganz zu Anfang des Romans, der sich dann ziemlich genau realisieren wird: Attila verfolgt die Geliebte mit seiner Eifersucht, sucht sie, doch sie wendet sich von ihm ab, peinlich berührt von seinen Demutsbezeugungen. Im diesem Traum erfährt er über sich, dass er es ist, der sich an der Geliebten festklammert und sie nicht mehr auslassen will, obwohl er ihr eigentlich außer seiner Obsession und seinem Besitzenwollen unter allen Umständen, nichts wirklich zu bieten hat. Sie will (im Traum) keine alte Jungfer werden, die ewig auf ihn wartet. Attila weiß beim Erwachen, dass „jeder Traum ein Wunschtraum ist“ – und dass er selbst auf sein eigenes Verderben aus ist.
Im Laufe der Jahre, als Orsolya schon längst verheiratet ist, mit besagtem Militäringenieur – und er sie 1976 von weitem auf einem Flughafen sieht, wird ihm klar, dass er sich nur dann von ihr lösen kann, wenn er eine Zeit in seiner Erinnerung wieder findet, die „Orsolya-frei“ ist. Das ist für ihn die Zeit vor dem Krieg, als er Ferien bei Verwandten verbringen darf. Mit diesem Bewusstsein kann Till dann auch „abgeklärter“ und „altersweise“ an seine Geliebte zurückdenken.
Rubin gelingt es mit seinem Roman, aus Attilas Sicht geschrieben, welcher Reaktionen und Gefühle Orsolyas nur interpretieren kann, ein Buch zu schreiben, das den Leser bis zuletzt in Spannung hält.

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