Rezension: Pásztor, Susann – „Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts“

Roman
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2013
ISBN: 978-3-462-04526-0
Bezug: Buchhandel, Preis: 8,99 Euro

Aus dem Prolog geht hervor, dass die Erzählerin die Adresse eines Mannes sucht, den sie während oder nach einem Seminar kennen gelernt hat.
Aber zunächst findet sie sich in einem Schweigeseminar, auf Anraten ihrer Therapeutin und weiß nicht so recht, ob sie überhaupt bleiben soll. Die anderen Teilnehmer erscheinen ihr seltsam bis suspekt – und dementsprechend abschätzig sind ihre Vorurteile über sie. Wie aus ihren Gedankenfragmenten hervorgeht, hält sie sich für eine unromantische Person, sehr selbstkritisch, aber voll Unsicherheiten und Minderwertigkeitskomplexen.
Der kleine Roman, eigentlich ein Entwicklungsroman, gliedert sich in drei Teile:
Im ersten Teil lernen wir Mila kennen, die Ich-Erzählerin, die uns Leser mit hinein nimmt in das Schweigeseminar. Widerwillig bis amüsiert über sich selbst, schickt sie sich in die Regeln: Schweigen, stundenlang sitzen, atmen, nichts denken, nichts wollen, alles an sich vorüberziehen lassen. Dazwischen Mithilfe in Haus und Garten. Immer wieder spielt sie mit dem Gedanken, das Ganze einfach sein zu lassen: denn außer Schmerzen bringt das Sitzen und Atmen ja doch nichts. Aber dann bleibt sie doch. Etwas geschieht mit ihr; und es kommt, was kommen muss, das Hineinfallen in ihre eigene Vergangenheit: Sie öffnet sich, lässt lange verdrängte Gedanken und Empfindungen zu, die Kränkungen, die ihr, hauptsächlich von den Eltern, zugefügt worden waren und denen sie bis heute nicht verzeihen kann. Mila hat das Gefühl „noch nie zuvor so tief und wahrhaftig geweint zu haben“ .Sie müht sich, ihre Gedanken mit Ein- und Ausatmen wertfrei an sich vorüberziehen zu lassen. Nichts zu wollen ist gar nicht einfach. „Man kann nicht nichts wollen“. Mit allerlei Tricks versucht sie sich abzulenken. Vieles, was ihr bisher peinlich oder lächerlich vorgekommen war, macht sie auf einmal aus tiefem Herzen mit: Vor anderen weinen, gemeinsam Om singen. Hier fühlt sie sich nun befreit und erleichtert. Es ist schön, in einer Gemeinschaft zu sein. Es gelingt ihr – wenn auch mit Rückschlägen – tatsächlich abzuschalten und ganz bei sich zu sein. …“ „Wäre da bloß nicht die Tatsache, dass ich den Schwarzen Gürtel im Festhalten, Rumzicken und Hassen trage.“
Etwas infantil und nicht altersgemäß scheint die Jugendsprache zu sein, mit der sie innerlich alles kommentiert. Die Frau ist schließlich schon Ende 30! Aber, wie später herauskommt, ist sie nie richtig erwachsen geworden, weil ihr Zuwendung und Liebe in Kindheit und Jugend fehlte. Sie sucht bis heute danach. Andererseits, der flotte Schreibstil entlockt dem Leser immer wieder ein zustimmendes Schmunzeln wenn er ähnliche Erfahrungen hat – und macht es ihm leicht, Milas Nöte nachzuvollziehen.
Dieses Wochenende ist dann schneller zu Ende als erwartet. Und dann kommt einer auf sie zu und fragt sie um eine Mitfahrgelegenheit in die Stadt.
Der zweite Teil: Wieder erlebt sie drei Tage, doch diesmal nicht allein: Sie ist noch ein wenig benommen von der Meditation, fühlt sich dünnhäutig und angreifbar – wunschlos, leer und entspannt. Ihrem Mitfahrer scheint es genau so zu gehen. Er trägt übrigens einen Ehering, heißt Simon und möchte sie zum Essen einladen. Dabei flunkert sie ihm über ihr Leben alles Mögliche vor, wohl wissend, dass er ihr kein Wort glaubt – hemmungsloses Geschwätz um nichts über sich sagen zu müssen. Irgendwie kommen sie aber doch ins Gespräch, können sich nicht trennen, begleiten sich hin und her – vom Hotel zum Auto und wieder zurück. Lauter angefangene, nicht zu Ende gebrachte Sätze: „Ich fürchte mich vor einer abschließenden Analyse dieses misslungenen Abends, ich fürchte mich davor, Fragen nach meinem Leben beantworten zu müssen, und ich fürchte mich sogar vor dem, was ich jetzt am allerliebsten hören würde“. – Nicht wirklich überraschend ist seine Frage, ob sie heute Nacht bleiben möchte. „Ich glaube nicht, dass das .eine gute Idee wäre – Doch ja, ich würde sehr gern hierbleiben“. Dass sie nach dem Seminar mit einem Mann ins Bett gehen würde, hätte sie auch nicht gedacht – Es beginnt eine, beide erfüllende, Liebesgeschichte, die sie staunend wahrnehmen. Alles Berechnende, Besitzergreifende fällt von ihr ab. Nicht nur Leidenschaft ist es, die sie zueinander zieht, sondern das tiefe Bewusstsein, dass sie füreinander bestimmt sind: Ihr Beisammensein, ihre Liebe ist ein Geschenk, sie selbst sind dem anderen Geschenk. Ein Wunschpaar! – Ein Wunschpaar?
Simon schert zum ersten Mal aus seiner Ehe aus, will sich nicht scheiden lassen, sondern für seinen siebenjährigen Sohn da sein. Nach der Geburt des Sohnes war seine Frau in eine postnatale Depression gefallen, die bis heute andauert. Sie sind „gute Freunde“ und er will sie nicht verlassen. Sie haben noch viele gemeinsame Interessen, wenn auch keinen Sex. Simon: „Ob wir uns noch lieben? Ja. Ich nenne es Liebe. …Und ich weiß noch sehr genau, warum ich mich damals für diese Frau entschieden habe“.
Mila kann ihre innere Kommentatorin nicht abstellen – und darum erfährt der Leser von ihrem Verlangen, von ihrer Hingabe, von ihrem Glück, aber auch von ihrem tiefen Misstrauen gegenüber ihren eigenen romantischen Gefühlen. Sie schweigen viel zusammen, aber irgendwann erzählt Mila aus ihrem Leben, von ihren Eltern, die so verliebt ineinander waren, dass sie ihre beiden Kinder, Mila und Marek, ganz darüber zu vergessen schienen. Als dem Vater vor 10 Jahren eine Krebsdiagnose gestellt wurde, verschwanden die Eltern auf einem Segeltörn. „Zum letzten Mal gesehen habe ich meine Eltern vor 10 Jahren. Man darf davon ausgehen, dass sie tot sind“. Marek arbeitet bis heute mit dem Vermögen, das er geerbt hat, Mila kann bei sparsamer Lebensführung damit auskommen. Sie hat keinen Beruf, keine Freunde, keine Kinder. Sie hat Kunst studiert, traut sich aber nicht, etwas daraus zu machen.
In Simons Gegenwart verändert sie sich, streift ihre Unbeholfenheit, ihre Minderwertigkeitskomplexe nach und nach ab. kauft sich sogar ein rotes Kleid – sie, die bisher immer nur Jeans und Pullover trug – möchte schön und fraulich und begehrenswert aussehen. Simon, der immer beherrschte Manager, lässt locker.
Simon und Mila „gehen sich beide so irrsinnig nahe“, doch sie wissen, dass ihre Beziehung nicht weitergehen kann. Er ist kein Typ für Nebenverhältnisse. Damit ist Mila genau in der Situation, die sie nicht wollte: Überhaupt nicht cool! Wie ein kleines Kind kommt sie sich vor, dreht und wendet die Sache, ob man sie nicht doch irgendwie fortsetzen könnte. Sie will haben! Will nicht aufgeben. Sie will keine Schmerzen. Sie will Leidenschaft! Stattdessen fallen Seelennot und Katzenjammer über sie her. Mit Willensstärke verlässt sie Simon nach der letzten Nacht, ohne Adresse oder Telefonnummer. Der Schnitt muss sein, aber: „In meinem Brustkorb fängt etwas an zu wüten und zu brüllen wie ein Tier, das außer Kontrolle gerät“.
Im dritten Teil begegnen wir einer Mila, die entgegen der Abmachung nicht aufgeben will. Sie sucht ihre Therapeutin auf, will getröstet werden wie ein Kind, das sich wehgetan hat. Wozu soll denn diese ganze Geschichte gut gewesen sein, wozu hat sie einen Mann kennen gelernt, mit dem einfach alles passte? Sie hat sich doch geändert, kann über ihre toten Eltern sprechen, hat sich sogar ein Kleid gekauft! Doch die Psychologin leitet den Abschied ein. Mila ist jetzt erwachsen und fähig, allein mit ihrem Leben, ihrem Frust, ihrer Einsamkeit fertig zu werden.
Wider besseres Wissen hofft Mila auf einen Anruf von Simon, will sich auf die Suche nach ihm machen – und beschwichtigt sich mit lauter kleinen Tricks und Selbstbetrügereien! Ihrem Bruder erzählt die sie die Kurzfassung: „Ich war nach dem Seminar drei Tage mit einem Mann in einem Hotel. Wir haben uns verliebt. Sehr sogar. Er ist mit einer depressiven Frau verheiratet und hat mit ihr einen siebenjährigen Sohn. Die Ehe ist nicht so toll. Er will aber keine Geliebte nebenher haben. Deshalb haben wir uns nach drei Tagen wieder getrennt, ohne Adressen oder Telefonnummern. Ich weiß noch nicht mal genau, wie er mit Nachnamen heißt. Und je mehr Zeit vergeht, umso beschissener finde ich diesen Plan“.
Mit Mareks Hilfe macht sie die Telefonnummer von Simons Schwester ausfindig, die ihm einmal geraten hatte, ein Schweigeseminar zu machen, um wieder zu sich selbst zu kommen. Die Schwester, neugierig geworden auf diese Liebesgeschichte, lädt Mila zu sich ein und gibt ihr Simons Handynummer.
Ja, und wie die Geschichte nun ausgeht, wird hier nicht verraten. Kann Mila freiwillig verzichten oder wird sie weiter suchen?
Susann Pásztor hat uns hier eine wunderschöne Liebesgeschichte geschenkt. Leicht und spritzig geschrieben, mit guten Redewendungen und Vergleichen. Der tiefere Sinn, die Entwicklung wirkt dann noch nach – genau wie bei einem Schweigeseminar.

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