Rezension: Gárdonyi, Géza – „Die Gefangenen Gottes“


Historischer Roman
Aus dem Ungarischen von Terézia Jeszenkovits
Verlag Corvina, 2001
ISBN: 963-13-4996-9
Originaltitel: Isten rabjai, 1908
Bezug: direkt beim Corvina-Verlag, Budapest oder in Antiquariaten

Dieser historische Roman ist auch unter dem Titel „Wie der Mond sich spiegelt im See“ erschienen. Übersetzt von Heinrich Weissling, im St. Benno-Verlag, Leipzig, 1979. Mit Fotos und Zeichnungen, die Holzschnitten aus dem Mittelalter nachempfunden sind. Bezug: Antiquariat
Weissling hat es in seiner sehr lebendigen Übersetzung bei den ungarischen Namen belassen, während Jeszenkovits leider die Namen so weit wie möglich eingedeutscht hat, was das Verständnis der Historie z. Tl. erschwert.
Als Vorwort dient ein fingierter Briefwechsel zwischen dem Verlag und Géza Gárdonyi. Darin werden viele Fragen angesprochen, die dem Leser während des Romans durch den Kopf gehen. Die überstrenge Bußpraxis, der frühe Eintritt von Kindern ins Kloster. Gárdonyi „antwortet“ darauf, dass er die Einwände verstehe, dass er aber vor allem das Leben dieser heiligmäßigen Prinzessin aus den Augen des Kindes Jancsi und des späteren immer noch sehr jungen Mönches schildern wollte.

In diesem Roman macht uns Géza Gárdonyi wieder mit einem Teil der frühen ungarischen Geschichte bekannt: Dieses Mal führt uns der kleine Gärtnersohn Jancsi (Hans) durch 20 Jahre des 13. Jahrhunderts:
Gerade hatte Ungarn unter einem Mongolensturm gelitten. 1241 wurde das Land unter König Béla IV. vom Heer Batu Khans, des Führers der „Goldenen Horde“ bei Muhi vernichtend geschlagen. In seiner Not versprach der flüchtende König, sein noch ungeborenes Kind Gott zu weihen und es in ein Kloster zu schicken. Die Mongolen zogen nach dem unerwarteten Tod des Großkhans Ögedei ab. Weite Teile Ungarns waren entvölkert, das Land zerstört. Das Volk hungerte, vielen starben in Hungersnöten und Epidemien – das Königshaus und die Adeligen lebten nach wie vor im Überfluss.
Béla IV. siedelte Elsässer und Leute aus dem Rheinland in der Zips (heutige Slowakei und Teile der Ukraine) an, die das Land wieder aufbauen sollten. Vor allem die Städte wurden mit großen Steinmauern umgeben, um evtl. einem weiteren Einfall trotzen zu können. Doch nicht nur die Mongolen hatten ihm zu schaffen gemacht, sondern auch der Böhmenkönig Ottokar II. Mit ihm konnte er 1261 endlich Frieden und ein enges Bündnis schließen. Sein Sohn István V. (Stefan) führte zeitweilig Krieg gegen seinen Vater, um seine eigenen Ansprüche auf Teile des Reiches geltend zu machen, was in einen Bürgerkrieg mündete. 1266 schlossen Vater und Sohn endlich Frieden auf der Haseninsel (heute Margareteninsel).
In diesem Umfeld spielt die Erzählung um die Hl. Margareta von Ungarn, aus dem Hause Árpád. Gárdonyi beschreibt hier nicht nur die ungarische Geschichte dieser Zeit, er macht uns, überaus farbig, in allen Einzelheiten vertraut mit den kirchlichen und klösterlichen Bräuchen und Übungen.

Mit vier Jahren geben die Eltern Béla IV. und Maria Laskaris ihre Tochter Margit zu den Dominikanerinnen nach Veszprém. Der Dominikanerorden war erst wenige Jahre zuvor in Frankreich als Bettel- und Predigerorden gegründet worden und hatte schnell auch als Männer- oder Frauenkloster in Ungarn Fuß gefasst. Die Regeln waren sehr streng. Fleisch durfte nur auf Reisen gegessen werden, es wurde viel gebetet, gefastet, geschwiegen und gearbeitet. In den Frauenklöstern ging es nicht gar so streng zu, da vor allem reiche, adelige Frauen in den Orden eintraten, denen einige Privilegien eingeräumt wurden.
Im ersten Teil sehen wir im Jahre 1250 einen kleinen Jungen, dessen Vater gerade gestorben war. Sein Vater war ein guter und sehr bekannter Gärtner gewesen, Leibeigener eines Propstes. Nun bearbeitet die Mutter mit ihrem 10jährigen Sohn Jancsi die Gärtnerei, bis sie eines Tages im frühen Frühjahr zur Haseninsel befohlen werden, um dort zu pflanzen und zu gärtnern. Mit dem Lausbub Jancsi tummeln wir uns auf der Insel, wo gerade ein Kloster gebaut wird, bestaunen die gotischen Gewölbe, sehen den Malern zu, schauen zu, wie Brunnen gebaut werden, nehmen neugierig alles in Augenschein. Jancsi erfährt, dass die Prinzessin hier auf der Insel wohnen soll. Er stellt sich natürlich eine Märchenprinzessin vor, seine kindliche Fantasie umgibt sie mit bereits mit einer Gloriole. Als dann Prinzessin Margit, gerade acht Jahre alt, im Mai 1250 mit den Ordensschwestern ankommt, kann er sogar einen Blick auf das Kind erhaschen.
Von dieser Stunde an ist es aber mit seinem ungebundenen Leben auf der Insel vorbei. Seine Mutter muss als Laienschwester im Kloster bleiben, was er als männliches Wesen auf keinen Fall betreten darf. Schließlich nimmt ihn der Dominikanerorden auf, als seinen allerjüngsten Novizen. Schmerzhaft muss er das Beten, das Schweigen und das fleischlose Essen kennen lernen, muss lernen auf einer harten Pritsche zu schlafen, nicht in einem weichen Bett. Doch da das Mönchstum zu dieser Zeit sehr hoch angesehen war, hat auch er den Eindruck, das große Los gezogen zu haben. Für ihn ist gesorgt, seine Mutter darf er jede Woche sehen, er wird sogar unterrichtet.
Im zweiten. Kapitel sind Kriege geschlagen und verloren worden; – Jancsi ist bereits 20 Jahre alt und hat an verschiedenen Klöstern alles gelernt, was er als Frater wissen muss – und noch einiges darüber hinaus. Er kann lesen und schreiben – eine Seltenheit damals, er spricht lateinisch und er versteht sein Gärtnerhandwerk. Er hat in diesen 10 Jahren Wanderschaft natürlich auch einiges erlebt, ist erwachsen geworden. Nun, als Mönch, darf er das Frauenkloster mit seinen Mitbrüdern besuchen. Er sieht Margarete wieder, als sie ihn um ein Gebet bittet. Seine ganze Sehnsucht nach dieser reinen Seele bricht wieder in ihm auf. Von ihr werden wahre Wunderdinge erzählt: Sie ist so demütig und bescheiden, verzichtet auf jedes Privileg, ja, sie reißt sich geradezu um die niedrigsten Arbeiten, bedient Arme und Kranke. Jancsi versteht das alles nicht so recht – auch seine Mitbrüder halten manches für übertrieben, denn die zarte Frau scheint diesem strengen, entsagungsvollen Leben kaum gewachsen zu sein. Seine Schwärmerei wird entdeckt, da er seine Gedanken aufgeschrieben hat. Zur Strafe muss er das Kloster für eine Zeit lang verlassen und zieht mit einem ärztlichen Mitbruder durch die Lande. Mit diesem weisen und erfahrenen Pater führt Jancsi viele Gespräche um den Sinn des Klosterlebens, um den Sinn des Glaubens.
Im dritten Kapitel, soll die Prinzessin mit Ottokar II. verheiratet werden, um den Bund mit ihrem Vater fester zu besiegeln. Margarete aber weigert sich standhaft, das Kloster zu verlassen. Lieber würde sie sich die Nase abschneiden und damit ihre Schönheit ruinieren. Sie will eine einfache Dienerin bleiben und für Ungarn und seine Menschen beten.
Endlich wird ihren Wünschen statt gegeben. Statt ihrer verheiratet Béla IV. seine Nichte mit Ottokar.
Frater Jancsi kehrt wieder ins Kloster zurück. Nach Margaretes Ewiger Profess, 1261, vergrößert sich das Kloster rapide. Nonne zu werden kommt richtig in Mode: Viele hochadelige Familien geben ihre Töchter ins Kloster, adelige Witwen und edle Fräulein ersuchen um Aufnahme. Jede bringt als Schenkung etwas mit für das Kloster. Damit zieht aber auch ein leichter Schlendrian ins Klosterleben ein, der die strengen Regeln umgeht. Allein Margarete sorgt als leuchtendes Beispiel dafür, dass auch die Vornehmsten begreifen, dass sie zum Dienen im Kloster leben.
Tag und Nacht liegt sie in dieser Zeit im Gebet, um Vater und Bruder, die sich bekriegen, wieder zu versöhnen, was schließlich auch gelingt. Sie kann offenbar auch in die Herzen ihrer Mitschwestern sehen um sie zu versöhnen.
Kurz nach Weihnachten 1269 wird die junge Nonne sehr krank. Ihr vom Fasten und Büßen geschwächter Körper kann sich nicht mehr erholen – und so stirbt sie am 18. Januar 1270 unter Anteilnahme aller ihrer Mitschwestern.
Bekümmert fragt sich Jancsi, ob es das wert war, dass sie so früh sterben musste, weil sie sich nie geschont – ja weil sie ihr christliches Leben so übertrieben hatte. Da hat er eine Erscheinung: Er sieht Margarete, die ihm die Gründe für ihr heiligmäßiges Leben nennt:
Hast du nicht gesehen, in welcher Verderbnis diese Nation lebt? Zu welch tierischem Leben der reiche Adel herabgesunken ist?
Hast du nicht die schmuckbeladenen, stolzen Frauen auf der Insel gesehen, die immerfort kamen, um mich zu besuchen?
Hast du nicht gesehen, wie sie meine Demut, meine Armut und Frömmigkeit gerührt hat?
Und hast du nicht gesehen, wie aus dem ganzen Land die stolzesten Mädchen hergebracht wurden, damit wenigstens ein Mitglied ihrer Familie nach meinem Beispiel zu Gott aufsah?
Hast du nicht gesehen, wie diese Mädchen sogar noch im Kloster immerzu nur daran dachten, wie reich und vornehm ihre Eltern waren?
Und wie schließlich das Beispiel der Königstochter ihre Seele zu Demut und Andacht führte?
Hast du nicht gesehen, wie sich die Kunde von meinem frommen heiligen Leben im Lande verbreitete?
Hast du nicht gesehen, wie sie das Leibliche gegen das seelische Wohl tauschten?

Als Frater Jancsi wieder zu sich kommt, kennt er den Sinn ihres Lebens.
Margarete wird bereits 1276 selig gesprochen – aber erst 1934 heilig gesprochen.

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