Rezension: Szabó, Magda – „Die Elemente“

Roman
Aus dem Ungarischen von Heinrich Eisterer
Verlag Secession
ISBN: 978-3-905951-01-1
Originaltitel: Pilátus
Bezug: Buchhandel Preis: Euro 24,95

Der Verlag hat als Titel der Neuübersetzung die Titelüberschriften des Buches miteinbezogen: Erde, die praktische Kraft, Treue und Verlässlichkeit – Feuer, die zerstörerische Kraft, das seine Opfer verbrennt und nur Asche übrig lässt – Wasser, Ausdauer und Einfühlsamkeit – Luft, die alles spielerisch und kreativ verbindet: Die Elemente sind so verschieden wie die handelnden Personen dieses Romans: Etelka, die Mutter – Iza, die Tochter – Antal, der geschiedene Schwiegersohn – und Domokos, Izas Partner. „Die Unglückselige glaubt, die Vergangenheit der Alten sei ein Feind, und bemerkt nicht, dass sie Erklärung, Maß und Deutung der Gegenwart ist.“ Diese Erkenntnis Lídias steht auf dem hinteren Buchdeckel und umfasst die ganze Problematik. Zwei Welten treffen aufeinander, die von Iza und ihrem unbedingten Fortschrittglauben, der alle Tradition als ewig gestrig ablehnt und den Blick zurück nicht erlaubt – und die Welt Etelkas, ihrer Mutter, die allem Neuen misstraut, dessen Nutzen sich ihr nicht erschließt. Viele Romane Szabós setzen sich mit der Sprachlosigkeit zwischen den Generationen auseinander und dem Unverständnis das diese einander entgegenbringen: ein traditionelles, von übernommenen Sitten und Moralvorstellungen geprägtes Leben zu führen, oder, ebenso unbedingt nur das Neue, den Fortschritt der sogenannten modernen Welt gelten zu lassen.-
Damit charakterisiert Szabó auch die Gesellschaft der 60er Jahre in Ungarn, den Kommunismus, der nur die neue Gesellschaft gelten lassen wollte. Vince Szőcs, ein ehemaliger Richter, ist seinem Krebsleiden erlegen. Zurück bleibt seine Frau Etelka, die alles mit ihm geteilt hatte, Jahre der Kränkung und der Armut, aber auch die Freude über seine Rehabilitation. Zurück bleibt auch Tochter Iza, eine tüchtige und beliebte Ärztin. Sie lebt seit ihrer Scheidung von Antal in Budapest. Der Arzt Antal würde sich gern um die Mama kümmern, doch Iza lehnt ab. Sie will die Mutter zu sich nach Budapest nehmen. Aber sie verkauft ihm das Häuschen mit fast dem gesamten Inventar. Die Mutter schickt Iza, ohne irgendetwas mit ihr zu besprechen, sofort nach der Beerdigung in einen modischen Badeort, damit sie ihr beim Aussortieren und Packen nicht im Weg ist. Die alte Frau fühlt sich äußerst unwohl; nicht nur, dass Iza ihr überhaupt keine Zeit zum Nachdenken und Mitentscheiden gelassen hat, sondern, auch, weil sie zum ersten Mal im Leben nichts zu tun hat. Wenigstens in Gedanken richtet sie Izas Wohnung mit allem, was ihr liebgeworden ist, ein – ihrer Tochter möchte sie den Haushalt führen und sie wieder umsorgen.
Alles kommt natürlich ganz anders: Iza hat weder den Eltern erzählt, wie modern und praktisch sie ihre Budapester Drei-Zimmer-Wohnung eingerichtet hat, noch bereitet sie Etelka auf das neue Leben vor. Sie liebt ihre Mutter in der Art, dass sie das Beste für sie will – aber nur sie selbst weiß, was das Beste ist – und das muss auch gewürdigt werden. Iza möchte Etelka ein sorgenfreies Leben ohne Arbeit bieten, sozusagen immerwährenden Urlaub. In ihrem, Izas Leben, soll sich allerdings möglichst nichts ändern. Budapest ist dann für die alte Frau die Katastrophe ihres Lebens. Sie ist bitter enttäuscht, lässt bald niemanden mehr an sich heran; weder Izas Haushälterin Teréz, die ihr nach anfänglichen Missverständnissen das Leben erleichtern will, noch Iza, die ihr diszipliniert täglich eine Stunde Aufmerksamkeit schenkt, selbst wenn sie noch so müde nach Hause kommt. Aus ihrem Leben schließt sie die alte Frau aber total aus. Obwohl die beiden Frauen zusammen in einer Wohnung leben, lernt die Mutter von allen Freunden und Bekannten nur Izas Freund Domokos kennen; denn Iza geniert sich ihrer provinziellen Mutter. Total isoliert, wird aus der anfangs so neugierigen Frau, die es Allen Recht machen wollte, eine misstrauische wortkarge Alte, deren Energie und Liebe von niemandem gebraucht und gewünscht wird.
Im Laufe des Romans blättert Szabó das frühere Leben der Familie auf: Die kargen, ärmlichen Jahre vor Vinces Rehabilitation, welche Iza vorangetrieben hatte, ihr Glück, als sie von der Wiedergutmachung ein Häuschen kaufen konnten. Dazwischen immer wieder Izas Unverständnis über die Rückständigkeit der Eltern, die so gar nicht mit der Zeit gehen, sondern nur an der Vergangenheit hängen wollten. Vor allem der praktischen Etel wird das sich verändernde Leben nur gefiltert von Vince weitergegeben; Iza erklärt gar nichts. Seit ihrer frühesten Kindheit als Waise, wurde über sie entschieden, so dass sie es auch jetzt nicht wagt, eigene Wünsche zu äußern; sie stirbt innerlich geradezu ab. Aber gerade Izas Haltung, alles Frühere zu vergessen, treibt Etelka immer mehr in die Vergangenheit, wenn auch mit schlechtem Gewissen: Ihre liebe gute kluge Tochter tut alles für sie – und sie, die Mutter ist nicht glücklich, ist ungeschickt, macht alles falsch, sehnt sich nach ihrem Leben in der Kleinstadt! Doch auch Iza kommt mit dem gemeinsamen Leben nicht gut zurecht. Die ständige Anwesenheit der Mutter zermürbt sie. Sie fühlt sich herausgefordert, sich um die Mutter zu kümmern, obwohl sie doch eigentlich Ruhe haben möchte.-
Die kluge Iza ist nicht herzensklug, sie kann und will sich nicht eingestehen, dass es falsch war, die Mutter aus ihrem gewohnten Leben herauszureißen. Wie zwei Zahnräder greifen die Leben von Mutter und Tochter unaufhaltsam ineinander, bis sie sich schließlich verhaken und nur durch eine Katastrophe zu lösen sind: Als eine Reise in ihre alte Heimat ansteht, wird Etelka wieder lebendig: Sie möchte einen Grabstein für Vince setzen lassen. Sie macht die Reise alleine, Iza will nichts mit der Vergangenheit zu tun haben. Die nächste Enttäuschung lässt nicht auf sich warten: Der Stein ist viel zu protzig ausgefallen, bei der Nachbarin ist es bitterkalt.
Zu ihrer eigenen Überraschung hat sich Etelka doch schon an das bequeme Leben in Budapest gewöhnt. Als Antal sie später mit in sein warmes Haus nimmt, fühlt sie sich wohl in der Verbindung von alt und modern ihres ehemaligen Hauses. Die alte Frau darf im Haushalt helfen, macht nichts falsch, benimmt sich nicht ungeschickt. Dieses Zutrauen in ihre früheren Fähigkeiten beschert ihr wieder ein neues Selbstbewusstsein. Antal möchte einen Plan mit ihr besprechen. Sie allein solle entscheiden. Doch die Tragödie nimmt ihren Lauf: Etelka möchte ihrem Vince noch näher sein und so macht sie sich in dichtem Nebel auf den Weg in die Gegend, wo sie sich einst als Jungverliebte getroffen hatten. Dort werden jetzt neue Mietshäuser gebaut. Sie setzt sich auf einen Brunnen und überdenkt ihr unnützes Leben. Wie ein Blitz überkommt sie die Erkenntnis, wie sie ihre mütterliche Liebe und Fürsorge, die Iza zurückgewiesen hatte, doch schenken kann. Am nächsten Tag wird eine ausgeruhte, glückliche Iza durch ein Telefonat von Antal gestört: Mutter sei gestorben, sie solle sofort kommen. Mit ihrem Freund Domokos fährt sie in die Heimatstadt.
Auf der Polizeiwache ergibt sich folgender Tatbestand: Die alte Frau war aus einem Stockwerk eines halbfertigen Hauses gestürzt. Zwei Stunden später starb sie. Hier schließt sich der Kreis. Lídia, die Krankenschwester, die Vince in seinen letzten Tagen begleitet und verstanden hatte, dass er wieder in seine Heimat und seine Kindheit zurückkehren wollte, kümmert sich auch um seine sterbende Frau. Sie ist inzwischen mit Antal verlobt; beide hatten der Mama vorschlagen wollen, ihnen den Haushalt zu führen, soweit es ihre Kräfte zulassen würden. Als Iza von diesem Vorschlag hört, versteht sie die Welt nicht mehr und ist zutiefst beleidigt: Sie hatte ihrer Mutter doch ein luxuriöses, sorgenfreies Leben in Budapest geboten!. Die Polizei geht von einem Unfalltod aus, Antal und Domokos sind insgeheim von einem Selbstmord überzeugt. Und, da Iza so uneinsichtig bleibt, verliert sie nun auch Domokos. – Erst als es zu spät ist, dämmert ihr, dass auch sie ein Mensch ist, der Hilfe bräuchte. Eine furchtbare Geschichte: Die Mutter ist in ihrer Art vollkommen, als liebende Frau, die ihren Lebenssinn darin sieht, ihrer Familie zu dienen, geht ganz in den Aufgaben des praktischen täglichen Lebens auf. – Die Tochter ist ebenso vollkommen als Mensch und Ärztin. Aber sie versucht ihren Mitmenschen ihren Lebensstil missionarisch überzustülpen und ihre Liebe zuzuteilen. Dabei entzieht sie sich feige der Vergangenheit.
Dem Roman tut die neue zeitgemäße Übersetzung sehr gut, vor allem die frische Sprache und die authentischen ungarischen Namen. Schade, dass nicht gut genug lektoriert wurde und Rechtschreibefehler und umständliche Übersetzungen, wie z.B. „interurbane Telefonie“, anstatt „Ferngespräch“ u.a., stehen bleiben konnten.

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