Rezension: Szép, Ernő „Lila Akazien“

Ein altmodischer Roman
Aus dem Ungarischen von Stefan J. Klein
Drei Masken Verlag, München 1922
Originaltitel: Lila ákác, 1919 (verfilmt 1934 und 1973 von István Székely

Einmal möchte ich auch ein Buch vorstellen, welches vielleicht noch in Bibliotheken, die einen alten Bestand haben, auszuleihen ist: Lila Akazien, von Ernő Szép.
In Deutschland ist dieser schöne Roman leider völlig in Vergessenheit geraten. Die einzige Übersetzung stammt von 1922, als das Buch im Drei Masken Verlag erschien. Verfilmt wurde der „altmodische Roman“, wie es im Untertitel heißt, 1934 und 1973. Nach der Lektüre kann man sich wirklich einen zauberhaften Film vorstellen. In Ungarn scheint sich der Roman nach wie vor großer Beliebtheit zu erfreuen, sieht man die Reihe vieler Theateraufführungen im Internet aufgelistet, ebenso eine Neuausgabe des Werkes 2008.
„Altmodisch“ an diesem Roman ist, dass er noch in Friedenszeiten spielt, 1913. Szép hat ihn aber nach dem Krieg geschrieben, als melancholische Erinnerung an die erste Liebe, unbefangen und unbeschwert von dem, was dann folgen sollte. Politik wird nur ganz kurz gestreift, aber man spürt bereits, dass die Diskussionen rauer, heftiger und leidenschaftlicher werden.
Der Roman lebt von Atmosphäre, von Leichtigkeit und Charme, von Farben und Düften, von Geräuschen und Musik, von der Schüchternheit und Naivität der Jugend, vom gemächlichen Auseinanderfalten aller Begebenheiten um die angebetete Frau Margot „Dingsda“, von den sehnsüchtigen Gedanken um die vollkommene Liebe, wofür unser Held alles in seinem Leben hingäbe – wenigstens zur Zeit seiner Schwärmerei -. Eine gewisse Sorglosigkeit schwebt über allem, aber auch ein gewisser Überdruss der täglichen Wiederholung, ein Schlendrian, auch bei den Bankangestellten. Das private Leben geht vor.
Ein junger Bankangestellter, Hans, sinnt in einem langen Monolog melancholisch-ironisch über die echte, ideale Liebe nach, die er herbeizwingen will – und zwar, weil es so Mode ist, mit einer verheirateten Frau. Zum Heiraten fühlt er sich einfach noch zu jung! Er gibt sich „altmodisch“ in Kleidung und Gehabe, mokiert sich über die neuen Sitten, die Kleidung, die modischen Ausdrücke, die in Budapest gerade „en vogue“ sind. Obwohl er noch jung ist, schaut er auf die tollende Jugend, die jungen barhäuptigen Männer, die kreischenden Mädchen, wie aus einer anderen Generation herab. Er selbst sieht sich ganz als Kavalier alter Schule.
Während er wieder einmal darauf wartet, seine Angebetete wenigstens zu sehen, wie immer umgeben von einem Schwarm junger Leute, die ganz und gar dem modischen Zeitgeist entsprechen, wird er auf ein junges, aus vollem Hals lachendes Mädchen aufmerksam. Kaleschen fahren vorbei, Autos, Taxis. Schon sind wir mittendrin im Budapester Herbst, in lauer Luft und heiteren Menschen. Er gibt vor, sich gar nicht um das junge Ding zu kümmern, sie gar nicht zu sehen, doch trotzdem beschreibt er sie genau, ihren schief sitzenden Hut, die widerborstigen Haare, die weiße Bluse, die dünnen Beine, die unter dem Rock hervorschauen – man stelle sich vor! Als sie dann nebeneinander auf einer Parkbank sitzen, beim Café Gerbeaud, spricht er sie aus Langeweile und Frust an, neckt sie und hat gute Lust, mit ihr ein wenig anzubändeln. Manci antwortet ihm schlagfertig, selbstbewusst und frech, während er sich überlegen und weltabgewandt gibt.
Und sie gefällt ihm doch: „Dieses Mädchen hat so viel Lachen, wie ein Pfirsich Saft. Was für ein Mädchen ist dies eigentlich? Übrigens interessiert es mich ja gar nicht.“ Er will ihr Geld geben, doch sie weist es entrüstet zurück, ist ganz das ehrbare Mädchen. Er soll ihr lieber einen Zweig von der lila Akazie (in Wirklichkeit eine Glyzinie) pflücken, ihrer Lieblingsblume.
Später weiß er schon, dass er in jenem Herbst nur geglaubt habe, eine Frau, eine Dame zu lieben. Doch er war verliebt in die Liebe, wollte lieben, wollte sich zu jemandem zugehörig fühlen. Klar, will er die Frau auch besitzen, doch zuvor ihr Herz, ihre Seele erkunden, ihre Gedanken kennen und alles, alles an ihr lieben. Er will sie glücklich machen. Doch diese Frau Dingsda sucht nur ein flüchtiges Abenteuer.
Hans vernachlässigt die Arbeit in der Bank, wird vom Abteilungsleiter gemaßregelt und ist empört: „stell Dir vor, lauter so eklige Dinge, in einer Zeit, da ich mich fürs Glück vorbereitete! Doch dachte ich, das Leiden um die Frau beginnt…“ Und Leiden gehört unumstößlich dazu, in seiner schwärmerischen Fantasie. „Ich empfand wahnsinnige Lust, für einen schönen Tag meines Lebens meinen Posten zu verlieren!“ Zunehmend ärgern ihn die Allgemeinplätze, das seichte Geplauder, in dem es um nichts geht – und doch macht er es genau so, ihm fällt vor Schüchternheit und Überraschung keine tiefer gehende Unterhaltung ein. Als sie dann die Initiative ergreift, missfällt ihm das sehr; denn er will der Frau seines Herzens den Hof macht, ihr jeden Wunsch von den Augen ablesen, sie erobern. Er möchte das Tempo bestimmen, alles andere kommt ihm zu oberflächlich vor. In seiner Naivität fällt ihm gar nicht auf, was die ältere Frau von ihm, dem jungen Mann, eigentlich erwartet.
Um sich abzulenken, spielt er im Club bis in die frühen Morgenstunden Bac (Baccara, Glücksspiel mit Karten), obwohl er häufig dabei verliert.
Oft, wenn ihn die Einsamkeit überkommt und er das Gefühl hat, zu keiner Menschenseele zu gehören, überkommt ihn die Gier nach Frauen, die Wut darüber, dass sie die Männer so zappeln lassen – dann wieder sieht er in ihnen edle, fast übersinnliche Wesen – und fühlt sich als Ausgestoßener. Und warum? Weil er Jude ist – obwohl er nicht gefragt worden war bei seiner Geburt, ob er einer sein wolle. Szép sinnt lange über diese Frage nach. Er sieht doch genau so aus wie die Ungarn. Er ist doch ein Mensch! Selbst wenn er sich in der Bank noch so anstrengte, irgendwann könnte er höchstens Vizedirektor werden, niemals Generaldirektor – als Jude.
Nach dem Kartenspiel geht er ins Kasino, um sich dort mit den Tänzerinnen, der Bedienung, dem Direktor zu unterhalten und die Menschen zu beobachten, die sich unter allen Umständen amüsieren wollten, sich in Separées mit Mädchen zurückziehen, Champagner bestellen und die Darbietungen beklatschen.
Im Frühjahr entdeckt er dort auch das kleine Mädchen wieder. Sie fällt ihm auf, weil sie sich auch hier selbstbewusst zur Wehr setzt, wie gegen ihn, damals im Park. Er hat sie doch eigentlich schon vergessen! Über all seinem Liebeskummer! Außerdem ist er ja mit der großen, der einmaligen Liebe beschäftigt. Sie sei Mitglied des Kasinos, erklärt Manci ihm stolz. (Sie heißt auch Margit – Margit Tóth, wie seine zukünftige Geliebte, Margit – Margot.) – Die lila Akazien hat sie noch immer, in einem Buch gepresst.
Unterdessen trifft er seine Angebetete jetzt häufig, aber immer im Kreis von anderen. Er ist entsetzt, dass sie über ordinäre Witze lacht, über ihr Benehmen. Und doch will er einfach nicht wahrhaben, wie gewöhnlich sie ist, schiebt alles auf den schlechten Umgang mit ihren Freundinnen.
Nachts gewöhnt er sich an, Manci im Kasino zu treffen, um mit ihr zu plaudern. Sie ist stolz, dass sie zur Tänzerin ausgebildet wird, aber sie weiß, welche Realität sie erwarten wird – und doch, noch schiebt sie Männer, und das Unvermeidliche von sich weg. Auch sie träumt von der echten, der wahren Liebe, wohl wissend, dass es diese für sie nicht geben wird. Hans denkt immer nur an „seine“ Frau, die doch ganz sicher endlich! bald! seine Geliebte würde. Eines Tages nimmt er allen Mut zusammen, bittet sie, mit ihm spazieren zu gehen. Sie sagt zu. In der Nacht kann er vor Aufregung und Glück kaum schlafen. Er schwärmt, geht wie auf Wolken, kann sich kaum in die Realität finden. Der Spaziergang misslingt. Hans träumt mit offenen Augen, läuft mit ihr in seiner Fantasie über eine warme strahlende Wiese, sie erzählen sich ihre Jugend, ihre Geheimnisse. – Doch sie beklagt sich ganz unromantisch und ärgerlich über den aufziehenden Nebel. Ernüchtert, aber immer noch naiv bestellt er eine Droschke, streitet mit dem Kutscher, als der nicht weiterfahren will. Schließlich steigt Hans aus, schmerzlich enttäuscht, es ekelt ihn; denn kaum waren sie angefahren, hatte die Frau die Vorhänge zugezogen und – weiter will er sich nicht zurückerinnern: „Ich habe dieser Frau ja gar nicht den Hof gemacht! Habe mich ja erst darauf vorbereitet, ihr den Hof zu machen…“ Ja, er hat nur geträumt, seine Jugend verträumt, seine Liebe verträumt.
Irgendwann geht er wieder ins Kasino, trifft Manci, die inzwischen einen ernsthaften Verehrer hat, der sie heiraten will – doch sie will nicht. Er hat Geld, doch das interessiert sie nicht, sie will einen, den sie lieben kann. Die beiden gehen spazieren, er versucht sich an Frau Dingsda zu erinnern, doch ihr Gesicht verschwimmt bereits: „Und ich fühle wieder und fühle wieder nur, dass sie mir etwas ungeheuerlich Böses angetan hat. Sie ist mein Feind“.
Frühling bricht plötzlich aus in Budapest, er fühlt sich unglücklicher denn je, spielt in seinem Liebesschmerz mit Manci, wie mit einer Puppe. Und doch wird sie sein, ohne sein Dazutun, weil sie einmal im Leben glücklich sein will, den lieben, den sie sich auserkoren hat. Am Tag danach hätte er jubelnd durch Budapest tanzen können, doch er sagt ihr nicht:“ Ich liebe dich“. Er sagt gar nichts. Manci verschwindet aus seinem Leben.
„Freund, es gab Jugend und gab Liebe. Ich bemerkte es nicht.“
Jeder, der jung war – und sich auch so fühlte, so romantisch und naiv, so voll Sehnsucht und Seligkeit, findet sich in diesem Roman wieder – und muss über sich lächeln, darüber, wie Szép uns mit unserer eigenen Jugend konfrontiert.

Noch ein paar Worte zur gelungenen Übersetzung von Stefan Klein, der noch mehrere Werke von Szép übersetzt hat. Auch im Deutschen kommt der Text duftig und leicht daher. Klein übernimmt wörtlich übersetzt ungarische Redewendungen, die Tonfall und Satzbau so treffend nachahmen. Anders kann man sich die Übersetzung danach gar nicht mehr vorstellen: z.B.:
„Ich zigarettete mich dort zutode und alkoholisierte, wie viel in mir Platz hatte“ oder „die gewaltsam „Champagnisierenden“.
Den Personen, die er überhaupt nicht leiden kann, gibt Szép „sprechende“ Namen: Das Ehepaar „Schauerlich“, die Frauen „Auffallerich“, „Immerdar“. Selbst seine damals Angebetete, inzwischen so unwichtig gewordene erste Liebe ist die „Frau Dingsda“.
Auf Deutsch übersetzt kam 2008 der reizende Roman „Liebe am Nachmittag“ (dtv) heraus und in der Anthologie „Ich liebte eine schöne Frau“ hat der Übersetzer Ernő Zeltner einige seiner melancholisch-ironischen Miniaturen aufgenommen.
Es wäre schön, wenn man noch weitere Kostbarkeiten von Ernő Szép entdecken könnte.

Gudrun Brzoska, September 2012

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