Rezension: Mora, Terézia – „Der einzige Mann auf dem Kontinent“

Roman
Verlag: Luchterhand
ISBN: 978-3-630-87271-1
Bezug: Buchhandel Preis: Euro 19.80

Der „Antiheld“ der Geschichte ist Computerspezialist mit miserablen Englischkenntnissen und heißt Darius Kopp. Er ist als „einziger Mann auf dem Kontinent“ für die amerikanische Firma Fidelis in der Sektion Kontinentaleuropa tätig. Die übrigen Kollegen und Vorgesetzten sitzen in London und USA. Nach der Wende war er als Informatiker viel gesucht, inzwischen wird er aber nicht mehr ernst genommen.
Kopp, geboren 1965, asthmakrank, ist ein kleiner, runder Mann, der Essen und Trinken liebt, das Surfen im Internet – und seine Frau Flora. Selbst wenn graue Wolken am beruflichen oder privaten Himmel hängen, kann er sich irgendwie wieder aus der Situation retten: Ein Lebenskünstler. Kindheit und Jugend verlebt er in Ostdeutschland vor der Wende, ursprünglich ausgebildet als Funkmechaniker. Sein Vater, Pole, ein Lebenskünstler, hat die Familie verlassen, die Mutter, Deutsche, immer leidend, tyrannisiert die ganze Familie damit. Bis heute, Kopp ist 43, kann er sich ihrem Einfluss nicht entziehen, zwar widerwillig, doch immer mit Schuldgefühlen, nicht genug zu tun.
Er selbst glaubt von sich, dass er ein guter Mitarbeiter ist, dem die Arbeit Freude macht, der auch für seine Firma etwas einbringt. Doch in ehrlichen Momenten muss er zugeben, dass er sich eher für Nebensächlichkeiten interessiert und das Große Ganze nicht zusammen bringt. Unangenehmes schiebt er auf die lange Bank, vergisst es dann einfach. Ein gutmütiger, dickfelliger Kerl, der leicht ausflippt, sich aber in wahren Fressorgien schnell wieder beruhigt.
Seine Frau Flora, Ungarin, ist Übersetzerin, jobbt als Kellnerin in einer Strandbar in Berlin. Sie ist das genaue Gegenteil ihres Mannes. Nervös, übersensibel und depressiv. Sie traut sich nichts richtig zu – und als sie endlich einmal wieder eine Übersetzungsarbeit bekommt, gibt sie vor, der Stoff sei zu schlecht, doch in Wirklichkeit weiß sie, dass sie schon zu lange aus der Übung ist. Sie ist immer in Aktion, liebt außer Darius die Natur und ihre Freundin Gaby, wobei nicht ganz klar ist, wie weit diese Zuneigung geht. An ihrem Mann liebt sie die positive Art, seine Glücksfähigkeit. Er versteht es, selbst aus seinen Niederlagen noch eine Story zu zaubern, die Flora erheitern und ihr sagen soll, schau her, ich bin doch einer der es schafft. – Sie hat ihn aber längst durchschaut, kann seine Gedanken lesen. Gutmütig hält sie das meiste aus, auch wenn Kopp so vergesslich ist und sie mit seinem Egoismus verletzt.
Wir begleiten Darius Kopp während einer Woche, in einer fast unerträglichen Hitzewelle, wobei Mora alles minutiös auflistet, von Freitag bis Freitag. Die eigentliche Handlung schleicht quälend langsam voran, nichts Eigentliches scheint zu geschehen – als Leser möchte man Kopp immer mal wieder „anschubsen“.
Und doch hat man den Eindruck, dass es sich um eine rasante Geschichte handelt; denn die Autorin versteht es, in wechselnden Tempi Erzählstimme, innere Monologe und tatsächliche Gespräche ineinander- und übereinander zu schachteln.
Der Roman beginnt damit, dass in Kopps Büro ein Paket von einem Kunden für ihn abgegeben wird, einem Armenier. Als er später den Inhalt sieht, findet er 40.000 Euro in Geldscheinen. Zu wenig für das, was die Firma als Leistung erbracht hat, zu viel, um das Geld zu unterschlagen. Kopp lässt das Paket erst einmal in seinem mit vielen Schachteln und alten Computern vermüllten Büro stehen, will mit jemandem darüber reden. Eine ironisch-witzige Suche nach einem geeigneten Gesprächspartner beginnt: Die, mit denen er sprechen will, sind nicht zu erreichen – der Leser spürt geradezu, wie dankbar Kopp anfangs ist, dass ihm die telefonische Verbindung nicht gelingt. Von seinen Freunden, würde er sich gerne Rat holen, doch auch da bringt er es nicht fertig, im geeigneten Moment das Richtige zu sagen. Wie so oft im Leben dieses Unglücksraben: Kopp ermüdet schnell, weil er sich einfach nicht mit dem identifizieren kann, was seine Firma von ihm verlangt. Er fühlt sich allein gelassen, kann plötzlich keinen Kontakt mehr zu seinen Kollegen herstellen.
Als er das Wochenende notgedrungen im Grünen verbringen muss, weil Flora das Haus der Freundin nutzen darf, erlebt der Leser die Qualen eines Stadtmenschen und Informatikers mit, der sich ohne Laptop, Internetanschluss und Handy nur wie ein halber Mensch fühlt. Besonders der Sonntag in der Natur ist für ihn eine schwere Prüfung. Dabei würde er auch im Büro seine Arbeitszeit verplempern, einfach „vergessen“, was er als Wichtigstes tun sollte,, nämlich seine Software zu verkaufen. Stattdessen verdrängt er unangenehme Gespräche und Tätigkeiten. Darüber fällt ihm gar nicht auf, warum sich seine Geschäftspartner und Chefs in Übersee und London nicht melden: Für sie ist er schon längst abgeschrieben, kein Mitglied von „Fidelis“ mehr, – er als Einziger hat das noch nicht verstanden. Im Unterbewusstsein spürt er, dass er den Job nicht mehr hat; doch kann er sich das nicht eingestehen.
Zwischen das ganze Hin und Her von Arbeit und Freizeit schiebt Mora die oft skurrilen Geschichten verschiedener Begegnungen mit Kollegen, Freunden und Familie. – Gegen Ende der Woche, abends, fängt er dann doch endlich an zu arbeiten, verliert nicht gleich die Konzentration und stellt endlich die Beitragssätze und Spesen zusammen, umgerechnet etwa 40 000 Euro, die ihm die Firma schuldet. Als er frohgemut donnerstagsfrüh nach Hause kommt, verlässt ihn Flora gerade, zermürbt vom endlosen Warten. Er rennt ihr nach, steigt mit ein in ihr Taxi; sie fahren schweigend, aber in Gedanken redet er auf sie ein, entschuldigt sich, dass er sich schon seit Tagen nicht bei ihr gemeldet, sie höchstens nachts schlafend vorgefunden hat. Ironie der Geschichte: Kopp hat endlich einmal etwas gearbeitet, damit er an Geld kommt, – da läuft Flora entnervt weg, zu ihrer Freundin Gaby.
Am nächsten Morgen, Freitag, endlich der ersehnte Anruf aus London. – Darius merkt immer noch nicht, dass sich das Blatt gewendet hat: Sein Chef aus London bittet ihn, die restlichen Abrechnungsunterlagen zu schicken, und erzählt ihm, fast nebenbei, dass die Firma fusioniert – und sein Büro damit überflüssig wird. Vom Geld des Armeniers sagt Kopp jetzt nichts. Ob er allerdings die Schachtel zwischen den vielen Kartons im Büro wieder finden wird, ist sehr fraglich. – Darius ist also wieder einmal ganz unten. Er fährt zu Gaby. Niemand ist da, alle seien zur Geburtstagsfeier bei einer Freundin, erzählt ihm ein Nachbar. Der weiß, nachdem Kopp seinen Namen gesagt hat, dass dieser der „Freund“ von Flora ist. Der erleichterte Leser kann annehmen, dass diese Nachricht extra für ihn hinterlegt wurde und Flora ihn erwartet. Kopp fährt hin und spricht tatsächlich nicht nur in Gedanken mit seiner Frau: „Du bist die Liebe meines Lebens“.

Mora schreibt eine hochaktuelle Geschichte, in der sich mehrere Ebenen überlagern: Unsere Gesellschaft in ihrer Widersprüchlichkeit, die mehr vom Schein als vom Sein lebt, von vorgetäuschter Arbeit, Einsamkeit und Sprachlosigkeit. Als Ventil dafür Freizeitvergnügen und Kaufrausch. Mora lässt die beginnende Wirtschaftskrise und die „Schweinegrippe“ miteinfließen (geschrieben 2008!). Trotzdem können wir Leser diesen Roman mit Vergnügen und Schmunzeln genießen; den Antihelden Darius Kopp haben wir irgendwie lieb gewonnen.

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