Rezension: Farkas, Péter – „Acht Minuten“

Aus dem Ungarischen von György Buda
Verlag Luchterhand Literaturverlag, 2011
ISBN: 978-3-630-87304-6
Originaltitel: Nyolc perc, 2007
Bezug: Preis: 16,99 Euro

Für seinen Roman erhielt Péter Farkas, wie ich meine, zu Recht den Sándor Márai-Preis.
Manchmal drastisch, aber immer liebevoll erzählt er von den Tagen eines alten Paares. Der „Alte Mann“, wird auch schon vergesslich und hat mit beginnender Alzheimer zu kämpfen. – Er kennt seine Umgebung kaum noch, nicht einmal seine eigene Tochter: „Am Morgen war diese Frau wieder erschienen. Ohne jegliche Voranmeldung. Der alte Mann ging in die Küche, und sie war einfach da.[…]“. Seiner Frau dagegen, der alten Frau „war die Erinnerung einfach weggeblieben“.

Der alte Mann kennt ihren Zustand, umsorgt sie liebevoll, geht auf ihre Bedürfnisse ein. Er spürt wohl, dass auch seine geistigen und körperlichen Kräfte nachlassen – an manchen Tagen rapide, doch es beunruhigt ihn nicht; er nimmt das Altern seines Geistes und seines Körpers als etwas Gegebenes hin, kann und will es nicht ändern. Halt geben ihm die täglichen Riten, das Aufstehen, Anziehen, Essen bereiten. Ja, der Leser hat wirklich den Eindruck, dass sich die beiden Alten in ihren Möglichkeiten wohl fühlen und glücklich sind. Ihre Liebe zueinander ist stark und verlässlich.
Der Autor beschreibt die Beiden, deren Haut immer trockener und grauer wird, wie sie sich in ihrer eigenen Wärme, im warmen Sonnenlicht, in der frischen Luft, die sie täglich auf dem Balkon schnappen, wohl fühlen. Der alte Mann geht nach wie vor einem „geregelten Tageslauf“ nach, „erledigt morgens seinen Papierkram“, sofern ihn die alte Frau nicht dabei stört. Er schiebt seine Schreibwerkzeuge hin und her, kritzelt über Papier – jahrzehntelang eingeübte Tätigkeiten als früher geachteter Wissenschaftler. Auch die alte Frau geht mechanisch ihren früheren Tätigkeiten nach, hantiert in der Küche mit Töpfen, sie ist meistens in der Lage sich selbst zu waschen, selbstständig zu essen.
In Mußestunden und im Schlaf macht sich der alte Mann innerlich ganz frei von allem, was ihn belasten könnte. Er vermisst seine Erinnerung nicht. Die Bedürfnisse seiner Frau allerdings vergisst er nicht, hat sich ganz auf sie eingestellt. Die alte Frau dagegen lebt ganz und gar dem Jetzt, sie hat keinerlei Erinnerung an gestern, heute oder morgen: Jetzt hat sie Hunger, jetzt hat sie Durst, muss versorgt, ins Bad oder Bett gebracht werden. Nicht mehr ihr Bewusstsein steuert sie, sondern ganz und gar ihre Empfindungen. Doch da sie das nicht weiß, macht es sie auch nicht unglücklich, im Gegenteil.
Der alte Mann nimmt ohne Unwillen zur Kenntnis, dass seine Umgebung, die immer mal wieder ungebeten in die Wohnung kommt, mit Rat und Tat nicht spart. Schweigend-nachsichtig entfernt er alles, was man zu seiner und zur Erleichterung der alten Frau angeschafft hat. Sogar ihre Betten haben „sie“ auseinander gestellt – mit dem Erfolg, dass nun Beide in einem Bett schlafen. Sie brauchen immer weniger – und was sie nicht mehr brauchen, wird einfach zu den Mülltonnen zum Entsorgen gestellt.
Rührend, wie er seiner Frau, die nach wie vor gern isst – und dann ganz und gar aus einem Nahrung-aufnehmenden-Körper besteht, zu ihrem Geburtstag ihr Lieblingsessen, Pflaumenmus kocht. Sie kann wohl auch störrisch und übellaunig sein, ihm auch das Leben schwer machen, doch darauf geht Farkas nur in Nebensätzen ein. Wichtig ist, wie der alte Mann sie zu nehmen weiß, wie er, wenn sie mal wieder in einem inneren Wahn lebt, ihr die Angst nehmen kann. Wie er ihre Vorlieben und Neigungen kennt und sie auch liebevoll pflegt, z.B. muss er ihr jeden Abend vor dem Zubettgehen ihre Perlenkette umlegen.
Wenn die ihn dankbar anschaut, weil sie sich wohl fühlt, spürt er, wie eine Welle des Glücks und der Liebe ihn überflutet – auch wenn gleich danach ihr Blick wieder ins Leere geht und er weiß, dass er sie nicht mehr erreichen kann. Lieder singen sie noch zu zweit. An die Liedtexte kann sich die alte Frau nach wie vor gut erinnern, er summt dazu.
Man sollte aber nicht meinen, hier würde eine Idylle gezeichnet: Die beiden Alten haben durchaus mit ihren hauptsächlich körperlichen Gebrechen zu kämpfen. Die Funktionen sagen ihren Dienst auf, vieles wird mühsam. Aber es geht immer noch einmal weiter. Der alte Mann versucht seine körperlichen Gebrechen zu überlisten. Dabei merkt er sehr wohl, wie ihn die Umgebung wahrnimmt, „als Idioten“, doch das stört ihn nicht, im Gegenteil. Nun kann er so leben mit der alten Frau, wie er es sich vorstellt. Auch ihm kommt allmählich sein Ich abhanden. Er funktioniert noch, hauptsächlich um ihrer Beider Bedürfnisse zu stillen. Was ihn sehr beeinträchtigt, ist, dass er nicht mehr in Lage ist zusammenhängende Texte zu lesen, ja dass er manchmal nur noch durch einen weißen Schleier sieht.
Doch im Traum geht er jede Nacht in einen Garten, in dem er sich wohl fühlt – und wenn er im Schlaf spürt, dass es der alten Frau nicht gut geht, so greift er nach ihrer Hand, um sie mit in seinen Garten zu nehmen: „[…] und wandten sich noch, […] im Vorbeigehn, gleichsam beim letzten Schritt einander zu und küssten sich wie wahre Liebende.“
Jeder, der schon einmal mit alten Menschen zu tun hatte, deren Kräfte in der einen oder anderen Richtung nachließen, kann hier viele Parallelen wiedererkennen. Erschreckend einerseits, aber auch tröstlich, dass jenseits aller Gebrechen Liebe, Verständnis und Fürsorge für einander ein Leben in Würde beschließen kann.

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