Rezension: Kertész, Imre – „Fiasko“

Roman
Aus dem Ungarischen von György Buda & Agnes Relle
Verlag Rowohlt, 1992
ISBN: 978-3-499-22909-1
Originaltitel: A kudarc, 1988
Bezug: Buchhandel
In diesem Roman, dem zweiten der Tetralogie, beschreibt Kertész die schwierige Entstehung seines „Roman eines Schicksallosen“ und sein Leben als Schriftsteller in einer kommunistischen Diktatur.
Schauplatz ist das kommunistische Ungarn der Kádár-Zeit. Der „Alte“ hat einen Roman geschrieben, der nicht angenommen worden war mit der Ausrede, dieser sei nicht zeitgemäß, keiner wolle so etwas mehr lesen. Da er aber dringend auf Geld angewiesen ist; füllt er Seite um Seite eines neuen Buches, von dem er noch nicht einmal weiß, was es beinhalten soll. Zwischenzeitlich macht er Übersetzungen. Bei der Durchsicht seines Zettelkastens kommt ihm die Idee, ein „alter ego“ einzuführen, „Steinig“. Dieser Steinig soll noch einmal seine, des Alten Geschichte erzählen.
Steinig kommt quasi aus dem Nichts, bzw. aus einer anderen Welt zurück in eine vom Krieg verheerte Stadt, die er kennt, aber kaum wiedererkennt. Er hatte seinen eigenen Tod überlebt und beginnt nun mit seiner Wiedergeburt, erfüllt vom Gefühl des Vorläufigen; denn der Tod ist ihm immer gegenwärtig…
Genau so wenig wie Steinig auf das zurückliegende Leben vorbereitet gewesen war, das ihm fast den Tod gebracht hätte, so wenig ist er auf das Leben hier und jetzt in einem diktatorischen Staat (Ungarn) vorbereitet.
Er findet Arbeit als Journalist. Die Stelle wird ihm jedoch in dem Moment gekündigt, als die Zeitung zum Parteiorgan wird. Steinig lernt zwei Menschen kennen, Felsen, der jeden kennt und jeden für sich einspannen kann, und Berg, den Eigenbrötler, auf dem Schweres zu lasten scheint. Steinig lebt wie im Traum, nimmt seine Umwelt nicht richtig wahr, hält sich raus aus Allem. Eine Zeitlang arbeitet der Mann als Maschinenschlosser mit anderen ungelernten Kräften, die in ihrem früheren Leben anderen Tätigkeiten nachgegangen waren, die ganze Zeit einzig damit beschäftigt, zu überleben. Daran ändern weder eine zeitweilige Freundin noch eine neue Arbeit etwas. Ihn interessiert nicht, worum es im neuen Staat eigentlich geht. Dagegen Berg, total hoffnungslos und ohne Illusionen, hat gerade eine Novelle fertig gestellt hat: „Ich, der Henker“. Für ihn gibt es nur zwei Wege: den des Opfers oder den des Henkers, doch Steinig widerspricht ihm leidenschaftlich.
Zwischenzeitlich wird Steinig zum Militär eingezogen, er kann sich aber durch Krankheit entziehen und kommt bald zurück. Nun bemerkt er, dass sich sein Umfeld inzwischen verändert hat: Andere haben jetzt das Sagen; die bisher Angesehenen wurden abserviert; die Willkür des Totalitarismus.
Als Steinig einmal auf einer Behörde lange warten muss, hört er einen Angestellten über den Flur laufen – und ihm ist, als hörte er das Marschieren von tausend Stiefeln, von zehntausend, von hunderttausend. Er fühlt sich förmlich von der Menge aufgesogen, fühlt sich auf der sicheren Seite. Da geht ihm hellsichtig auf, dass er „abspringen“ muss, um sich zu retten. Er muss seinen einzig möglichen Roman in seiner einzig möglichen Sprache schreiben, er muss hier (in Ungarn) bleiben, während rund um ihn alles in Auflösung begriffen ist.
Mit der Fertigstellung des Romans (Mensch ohne Schicksal, Titel der ersten Übersetzung) gehört das Geheimnis seines Lebens allerdings nicht mehr ihm. – Von nun an wird seine einzige Arbeit nur noch das Schreiben sein.

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