Rezension: Krúdy, Gyula – „Der Geschmack der Träume“

zehn Erzählungen
Aus dem Ungarischen von György Buda
und mit einem Nachwort von László Darvasi
Verlag Edition Alea, Badenweiler, 2016
ISBN: 978-3-944524-04-7
Originaltitel: Az élet álom
Bezug: Buchhandel, Preis: 24,90 Euro

Der Geschmack der Träume! Welch schöner Titel für diese Erzählungen. Die Geschichten, die sich um essen und trinken drehen, sind vor allem auf die Erinnerung eines bestimmten Geschmacks ausgerichtet, nicht etwa auf die Zubereitung von Speisen und Getränken. Ja, „die gute alte Zeit“! Wie sehr beschwört Krúdy sie herauf in seinen Träumen vom Genießen, die sich nicht nur mit essen und trinken beschäftigen. Es ist die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, die Zeit der Monarchie, als noch alles „in Ordnung“ war – und auch, als „das Wünschen noch geholfen“ hat. Krúdy, der wunderbare Erzähler, spürt dieser Zeit nach und stellt uns in diesen Novellen Wirtshäuser, Restaurants und Beisln mit ihren Gästen vor. Nicht, dass er geradlinig von deren Besuchen erzählte, nein, Krúdy schweift gern ab, scheint den Faden zu verlieren in Anekdoten und kleinen ironischen Seitenhieben auf die „moderne Zeit“ in der er lebt, nämlich Ende der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts. Doch er kommt, wie von einer unsichtbaren Schnur gezogen, immer wieder auf seine essenden und trinkenden Gäste zurück.
Krúdy, das kann man diversen Literaturgeschichten entnehmen und auch dem höchst lesenswerten Nachwort von László Darvasi, war gar kein so großer Esser. Er setzte sich ins Wirtshaus und beobachtete die Gäste: die Gierigen, die Schlemmer, die Vielfraße, die Trinker, die Säufer, die Schwätzer und Besserwisser. Er beobachtete auch die Kellner, die Wirtinnen und Wirte, die Schanktöchter. Aus jeder ihrer Gesten und Äußerungen holte er ihre persönliche Geschichte heraus; ein hingeworfenes Wort genügte ihm da schon.
Krúdy ist kein Erzähler, der in die Psyche seiner Figuren eindringt und sie analysiert, er entwirft ein Bild, quasi eine „impressionistische Malerei mit realem Hintergrund“, in der es um Stimmungen und Atmosphäre geht, nicht um Handlung und spannende Ereignisse.
In „Der Geschmack der Träume“ geht es nebenbei und hauptsächlich um die Lust am Essen, um die „richtige“ Reihenfolge der Mahlzeiten, um das „richtige“, das dazu passende Speiselokal. Wir schauen nicht in Küchen und Töpfe, aber wir erfahren von höchst kenntnisreichen Genießern, welche Zutaten unabdingbar zu welchen Speisen gehören, wie gut auch Reste und sogar leicht Angebranntes schmeckt, wo und wann das beste Bier getrunken wird – und dass es auch abgestanden – gar nicht so schlecht ist.
Gemächlich und zeitvergessen treiben Krúdys Erzählungen dahin, spießen ironisch hier und dort ein Anekdötchen oder ein Hören-sagen auf. Er beschreibt kleine Absonderlichkeiten und setzt damit den gesamtgesellschaftlichen Zustand seiner Zeit in Szene, in seinen ironischen Bemerkungen versteckt sich manchmal der Autor.
Wie in seinen anderen Erzählungen kommt auch hier der Schabernack nicht zu kurz, etwa, wenn er lang und breit beschreibt, wie eine Wirtin unbedingt Leute zum Krautstampfen braucht. In fast jede noch so kleine Beobachtung flicht er eine neue Hintergrundstory mit ein – übrigens hervorragend übersetzt im dazu passenden, etwas altmodischen, gewählten Deutsch, von György Buda.
Die ersten beiden Erzählungen, Der Journalist und der Tod und Eine Nacht im Wirtshaus zum „Araberschimmel“ gehören zusammen. Sie wurden bereits früher in Anthologien ungarischer Kurzgeschichten übernommen.
Der unbedeutende Journalist Titusz Széplaki hatte sich despektierlich über die hochvornehmen Herren des Casinos geäußert, wofür selbstverständlich Satisfaktion geleistet werden muss. Er weiß, dass er sterben wird, denn er hat keinerlei Übung im Duellieren – wie hätte er auch! Also lässt er sich noch einen Vorschuss von seinem Chef geben – kleidet sich würdevoll und dem Anlass entsprechend, schlendert scheinbar unbeeindruckt am Casino vorbei und lässt sich treiben. Spät kehrt er in einem Nachbeisl ein, in dem sonst nur die Herren Drucker und der Chefredakteur speisen. Einmal will er ein Mann von Welt sein, wenigstens einen Tag lang, bevor er stirbt. Er bestellt sich gute Speisen, besucht danach ein Café, scherzt mit den Schauspielerinnen, bis ihm kaum noch ein Trinkgeld übrig bleibt. Gestärkt verbringt er die Nacht und noch einen halben Tag, den er mit einem wunderbaren Mittagessen krönt, bis es Zeit für das Duell ist.
Ganz anders sein Kontrahent, ein Husarenoberst a.D., ein geübter Duellant, der eigentlich gar nichts gegen den armen Schreiberling hat – aber das Erschießen, das muss einfach sein, da führt kein Weg dran vorbei. Er will dem armen Schlucker in dessen letzten Stunden ganz nah sein, geht in ein armseliges Beisl und bestellt sich zu essen und zu trinken, wie es – so stellt er es sich vor – der Arme sein Leben lang getan hat. Sie schmecken ihm sogar, diese einfachen Speisen, Grammeln, die er mit allen zehn Fingern isst, ein Gulaschrest vom Mittag übrig geblieben – und er steigert sich geradezu hinein in das einfache Essen und vertilgt gewaltige Mengen. Die Verkleidung ist ihm gut gelungen, keiner erkennt in ihm den feinen Herrn. Der Oberst ließ die Radieschen unter den Zähnen krachen, diese Speise der Armen, ….
In der Novelle Die Wirtin oder die verzauberten Gäste ist es die gestandene Frau Wirtin, die ihre Gäste für sich arbeiten lässt: Ein Schweinehändler, schon lange mit ihr bekannt, möchte bei ihr speisen. Er reist immer mit der Bahn –hier schiebt Krúdy plaudernd einige Beobachtungen zur Bahn ein, über den Fahrplan, die Pünktlichkeit der Züge, die Reisenden. Vor allem die Stiefel der Reisenden, ihre Stöcke, Pelze, Koffer und Portemonnaies nimmt er genau in Augenschein.
Während der Herr bestellt und isst, plaudert die Wirtin mit ihm und erzählt wie nebenbei, dass sie eine Wagenladung Kraut gekauft habe, das am Nachmittag eingelegt werden solle. In immer neuen Schleifen kehrt Krúdy hingebungsvoll zur Nahrungsaufnahme des Schweinehändlers zurück, personalisiert sogar seine Zähne: ….alles das fand…. den Weg in den Mund des Herrn Pászmáti, wo es die Mahlzähne, die ja die ganze Nacht nur Nebel oder den Zigarettenspitz aus Weichselholz zum Beißen bekommen hatten, sie freudig empfingen. Er nimmt den Faden wieder auf, zusammen mit kleinen Nebenerzählungen, bis er auf das Krautstampfen zurück kommt. Dazu weiß Pászmáti natürlich, wie jeder kundige Gast in Krúdys Erzählungen, von wem und wie Kraut gestampft werden müsse, wer das Kraut vorher auszusuchen und gar, woher es unbedingt stammen müsse. Und schon hat ihn die Wirtin am Haken, für sie Kraut zu stampfen. Ohnehin habe er am Vormittag noch ein Bad nehmen wollen, sagt er, nachmittags würde er dann in den Krautbottich steigen….
Noch weitere Gäste kommen, welche die listige Wirtin fürs Krautstampfen begeistern kann. Nebenbei erfahren wir, dass es, im Gegensatz zur Stadt – auf dem Lande immer noch Sitte sei, pünktlich mit dem Mittagsläuten, den „Suppenglocken“ mit dem Essen zu beginnen. Wir lesen, wie man Magenleiden kuriert, wie in einem ordentlichen Gasthaus die Tische gedeckt sein müssen …die Terrinen waren noch aus Porzellan, und sie trugen dieselben Monogramme wie die Teller und das sonstige Essgeschirr. Alle Gäste sind kenntnisreiche Genießer, die wissen, wo man den besten Paprika kauft, wie der beste Kren gemacht wird und dass es am besten sei, einige Zutaten immer selbst dabei zu haben, z.B. getrocknete Paprikaschoten, kleine Zwiebeln, echten ausländischen Pfeffer, echten Knoblauch und immer ein kleines Glas Senf. Am Nachmittag wetteifern die Herren dann miteinander, wer in den Bottich steigen und stampfen darf, ganz nach den Erwartungen der Wirtin. Natürlich ist auch das eine umständliche Angelegenheit. Vieles muss bedacht und besprochen werden. Nicht nur der Tiroler, der das Kraut schneidet, wartet mit seinen Kenntnissen auf, sondern auch die sich überbietenden Herren Krautstampfer wachen eifersüchtig darüber, wer zuerst – und wer zuletzt Kraut stampfen darf.
Eine seiner berühmten Sindbad-Geschichten hat Krúdy mit in diese Auswahl einbezogen und ebenso einen längeren Diskurs darüber, wie es gehen kann, wenn einem Trinker der Alkohol und damit der Genuss am Leben und Lieben voll und ganz entzogen wird.
László Darvasi schreibt in seinem bewundernswerten Essay über die Umstände, wie Krúdy diese Novellensammlung selbst zusammen gestellt hat: Er war in großer Not, als 1931 unbedingt ein Buch von ihm gedruckt sein musste, damit er einen ihm zugesprochenen Literaturpreis in Empfang nehmen konnte – für kurze Zeit lebensnotwendig für den armen Autor.
Und so, angeregt und gestärkt von Krúdys schmackhafter Lektüre, kann man heute dem Essen, dem Zelebrieren einer Mahlzeit in der guten alten Zeit nur nachtrauern. Was hätte der Autor wohl zu „Fast Food“, zum Essen im Stehen an Resopaltischen gesagt? Das Fest des Speisens, des Genießens, das ahnt die Moderne nur noch in ihren Wunschträumen, in ihrer hoffnungslosen Sehnsucht nach dem guten Geschmack.

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