Rezension: Zsuzsanna Gahse – „Jan, Janka, Sara und ich“

Jan, Janka, Sara und ich
Verlag Edition Korrespondenzen, Reto Ziegler, Wien 2015
ISBN: 978-3-902951-16-8
Bezug: Buchhandel, Preis: 20,00 €
Verlag Edition Korrespondenzen, Reto Ziegler, Wien 2015
ISBN: 978-3-902951-16-8
Bezug: Buchhandel, Preis: 20,00 €

Wieder liegt vor mir, vor dir, vor uns ein Buch, in dem sich die Wahl-Schweizerin Zsuzsanna Gahse mit der Gegend beschäftigt, in der sie lebt. Beim ersten Durchblättern fällt auf, dass es kurze bis kürzeste Kapitel enthält; es kommen die immer gleichen Namen vor, Janka, Max, Karl, Baltasar, Sara – dreiundzwanzig Protagonisten, und alle enthalten ein „A“. Auch in den dazugehörigen Überschriften steckt ein „A“. Ein Spiel mit dem Buchstaben „A“, eine Hommage an diesen offenen Vokal, der so vielfältig ausgesprochen werden kann? Ja, und noch mehr! Der ganze Text, eine Mischung aus Prosa und Lyrik, aus Hörspiel und Theater ist ein Spiel, mit leichter Hand dargeboten, humorvoll aber mit realem Hintergrund. Oder wie soll man das nennen, wenn die Autorin in die wirkliche Thurgauer Landschaft, akribisch und liebevoll gezeichnet mit seinen Höhen und Tälern, mit Fluss und See und einzelnen Höfen, eine fiktive Stadt hoch oben auf den Berg setzt, leuchtend weiß wie ein „Carrara-Mantel mit Flecken auf dem Rücken“? Dabei geht es auch um ein „Gegen“ . – „Um dein Staunen darüber, wie einem Landschaften be-gegnen kann“ und ihrem geschichtlichen und erdgeschichtlichen Hintergrund.
Die Stadt, Büren, entstanden aus einem Weiler, wächst unaufhaltsam, weil es heutzutage Mode ist, mindestens eine Zweitwohnung zu besitzen, um etwas zu gelten. Es ist eine moderne Stadt: Frauen, die zu Hause arbeiten, sind nicht erwünscht, Kinder auch nicht. Die passen nicht zu einer modernen Frau – höchstens die Neuankömmlinge bringen welche mit. Es werden zwar Grünflächen und Spielplätze für Kinder angelegt. Benutzen tun sie aber nur die Jogger, die dort ihre Dehnübungen machen. Aber Hunde gibt es und Hasen, Biberspuren werden gesichtet und einmal sogar ein Hermelin. Großstädtisch, weltgewandt will man sein – unter allen Umständen – aber das Bewusstsein des Ländlichen möchte man nicht missen – und stellt seine Pferde im Reiterhof unter.
Die Alteingesessenen, ebenso Leute, die zufällig einmal da sind, kommen immer wieder in Hagmanns Tonstudio vorbei, um hier frank und frei ihre Meinung sagen zu können – ohne Zuhörer. Die Bänder werden beschriftet und weggepackt, ohne dass sie je abgehört werden. Das gibt Sicherheit und Freiheit. Manche äußern sich begeistert von der schnell wachsenden Stadt, anderen wird sie zu laut, einige sehen mit Wehmut, wie die Hochhäuser in die Höhe klimmen und die alten Schweizer Häuser ganz zusammendrücken. Die „Ureinwohner“ sind eher hochmütig, sie sprechen nicht mit Fremden, d.h. mit Leuten, die nicht von hier sind.
Vergleiche werden zu Lieblingsstädten und ihren Straßen und Märkten gezogen. Das ist wichtig. So ist Büren zwar nicht, aber es hat auch seine Qualitäten. Alte Läden verschwinden zwar und müssen in mietgünstigere Bereiche ausweichen, so der Sattler, Metzger und die Käserei, dafür gibt es aber Supermärkte, Bäckereiketten, das Tonstudio, eine Opernscheune, eine Landuniversität und für die Nostalgie ein Fotoarchiv; ganz wichtig: einige Apotheken. Büren ist keine reale, aber eine mögliche Stadt.
Und da gibt es noch ein „Ich“ im Tal, „Taltext“ genannt. Dieses Ich, mal weiblich, mal männlich macht sich über Vieles Gedanken, über die Weltpolitik, die Sicherheit, über Bücher, die sie oder er liest, es nennt sich Du und wir und jemand. Dieses Ich geht nicht ins Tonstudio, es gibt schreibend seine Kommentare. Einer der köstlichsten Texte ist der Dialog mit sich selbst, der die Eigenart mancher Menschen, auch ganzer Völker beschreibt, wenn sie „du“ sagen und sich selbst meinen: „Dann beginne ich, du zu mir zu sagen, oder um von Anfang an genauer zu sein, bist es du, der du zu dir sagt, nicht ich, da ich jetzt bereits begonnen habe, du zu mir zu sagen. Du beginnst, du zu dir zu sagen. Du sagst du und denkst keinen Augenblick mehr, dass es um mich gehen könnte. …“
Lange Zeit fühlen sich alle sicher in Büren. Das Leben geht seinen Gang, Puzzleteile von verschiedenen Lebensgeschichten bekommen wir als unsichtbare Zuhörer im Tonstudio mit. Geruhsam, wird das Leben von durchreisenden Rumänen genannt. Doch langsam scheint es bedrohlich zu werden: Albträume über einen Giftgasangriff tauchen auf, der auf den Traum gleich zu Beginn, über eine Zwangsenteignung, hinweist. Wo sollte man sich am besten verstecken? fragt zum Beispiel das Ich im Tal. Einhergehend mit beängstigenden Nachrichten über Krieg und Katastrophen, die mit Gewissheiten vorgetragen werden, die es doch gar nicht gibt, wird es langsam ungemütlich:
Gestalten tauchen auf, die über die Stadt sprechen, über Maßnahmen, die ergriffen werden müssten: „Von Erfassungen war die Rede. Vor allem im städtischen Bereich… Sie wollten ein Provisorium errichten… Von Ballungsraum war die Rede“.
Eines Tages verschwindet Klangrat Hagmann. Wurde er entführt? Seinem Sohn macht ein Unbekannter ein lukratives Angebot, alle Tonbänder aufzukaufen. Und als dieser ablehnt, droht der Unbekannte, es gäbe auch andere Wege.
Versöhnlich lässt die Autorin sprachspielerisch eine ganze Gesellschaft von Verwandten, die da sind: Gegend, Bezirk, Bereich, Flur, Landschaft, Region und viele andere, den steilen Hang nach Büren hinaufklettern. Sie rempeln sich an und überholen sich, doch alle kommen oben an.
Zum Vergnügen des Lesers zieht sich dieses Spiel und das Jonglieren mit Wörtern und Sprache durch das ganze Buch, das eine kleine Geschichte der Urbanisation erzählt. Mitten drin beginnt es; wir erfahren nicht, aus welchem Grund der Weiler zur Stadt wurde, die aus allen Nähten platzt.
Alle Texte kommen so leichtfüßig und elegant daher, auch wenn sie sich über „Modeerscheinungen“ auslassen wie: es ist zur Zeit Mode, grob daher zu kommen, städtisch halt; oder Bart-Tragen ist Mode, oder Frauen, die lange, seitlich gebundene Zöpfe tragen.
Alles wird beleuchtet, was der Autorin, d.h. ihren Protagonisten durch den Kopf geht: Von der Politik über die Leute, die man zufällig trifft, bis zur Beobachtung der Landschaft. Die Autorin fängt ein, was die Leute denken, was sie über andere denken. Das steht alles nebeneinander – ohne Kritik. Alle dürfen zu Wort kommen und sagen was sie denken, sagen, was sie wollen.
Im Register des Buches ist zusammenhängend mit Seitenzahlen aufgelistet, wann eine Person auftritt. Und es ist recht vergnüglich, das Buch auf diese Weise noch einmal zu lesen, was ich Jedem, der Freude am Sprachspiel und Wortwitz hat, nur empfehlen kann.

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