Rezension: Rubin, Szilárd – „Die Wolfsgrube“

Kriminalroman
Aus dem Ungarischen von Timea Tankó
Verlag Rowohlt, Berlin, 2013
ISBN: 978-3-87134-753-5
Originaltitel: Mulatság a farkasveremben, 1973
Bezug: Buchhandel; Preis: 17,95 Euro

Als Rubin seinen einzigen Kriminalroman Anfang der 70er Jahre schreibt, lässt er das Jahr 1964 noch einmal aufleben, die Zeit des kalten Krieges, die Angst und auch die Überzeugung von feindlichen Agenten ausspioniert zu werden. Ungarische Emigranten arbeiteten nicht selten aus dem Exil gegen das kommunistische Regime. Unter den Menschen herrscht Misstrauen. Der Krieg und erst recht 1956 sind noch nicht so lange her – alte Rechnungen noch offen. Zweckbündnisse wurden geschmiedet, die nun langsam in die Brüche gehen. Unterschwellig lebt in den Menschen die Furcht vor einem allmächtigen Staatsapparat, vor dem jeder untadelig dastehen will – auch um den Preis größerer und kleinerer Lügen. Ganz im Gegensatz zur landläufigen Annahme steht diesmal ein Vertreter des Staates, ein Polizist, in der Spionageabwehr im Mittelpunkt: integer, klug, sprachbegabt, allein der Wahrheit verpflichtet und mit großem psychologischen Gespür.
Schon das Cover der deutschen Ausgabe von 2013 ist eine Meisterleistung: Nichts ist wie es scheint: Ein Löffel wirft Schatten in Form einer Gabel. … Ein vielversprechender Hinweis!
Aus einer Art Vorgeschichte erfahren wir, dass im Mai des Jahres in einer Agentenbesprechung große Hoffnung in einen neuen ungarischen Spion (06) gesetzt wird, obwohl dem Vorgesetzten die Ungarn eher unzuverlässig erscheinen. Mit zwei chirurgischen Eingriffen und sämtlichen Erinnerungen ausgestattet, soll er das perfekte Alter Ego eines Dr. Decsi, von Beruf Biochemiker, sein.
Inzwischen ist es Oktober. Sechs Schulkameraden, die alle 1945 Abitur gemacht haben, wollen nach 15 Jahren endlich ein Wiedersehn feiern. Es soll ein schöner Abend werden bei Dr. Károly Haller, dem Gemeindearzt des Städtchens Csalogány, der sie alle zu sich eingeladen hat. So viel ist bei einigen schon durchgesickert, Haller hat den Schwarm ihrer Schulzeit, Emmi Schweller, die aus Siebenbürgen geflohen war, geheiratet.
Auf den Weg machen sich: Hauptmann Beke von der Spionageabwehr. Er freut sich auf das Treffen, doch sein Beruf bringt es mit sich, dass er an Einzelheiten und Ungereimtheiten misstrauisch hängen bleibt. – Ali Baksay der Journalist und Genießer reist zusammen mit Győző Vértes, dem für seinen Geiz bekannten Dichter. Beide sind seit der Schulzeit in Hassliebe verbunden, wünschen sich gegenseitig allerlei Unheil, können aber nicht ohne den anderen sein. – Decsi, der Biochemiker, hatte für zwei Jahre ein Stipendium in Schweden und ist erst kürzlich zurückgekehrt. Nun hat er einen verantwortungsvollen Posten in einer internationalen Fabrik im Mecsek-Gebirge. Er ist unterwegs mit einem jungen Kollegen aus Polen, Andrzej. Dieser hat einen besonderen Grund, auf dem Weg ins Institut, in Pécs Station zu machen. Bei seinem ersten Ungarn-Aufenthalt hatte er eine junge Frau kennen gelernt, doch die Verständigung klappte damals nicht. Eine Brieffreundschaft führen beide jedoch jahrelang weiter. Inzwischen könnte er sich auf Ungarisch mit ihr unterhalten; denn er möchte die Frau, die inzwischen verheiratet ist, treffen. Es ist Magda Haller, die als Schülerin Emmi Schweller hieß. – Decsi scheint geradezu besessen zu sein, sich an alles, an die kleinsten Kleinigkeiten aus der Schulzeit zu erinnern – und er wird sehr nervös, wenn ihm etwas entfallen ist.
Als Beke in einem Café sitzt, kommt eine Frau auf ihn zu, die unbedingt mit ihm sprechen will. Es ist Frau Schwabik, die Frau des Apothekers, der 10 Jahre zuvor die Erzengel-Apotheke in Pécs übernommen hat. Frau Schwabik ist eifersüchtig auf eine junge Tänzerin, die immer wieder in die Apotheke kommt, mit ihrem Mann tuschelt – und dieser ihr nachweislich Geld gibt. Frau Schwabik ist außer sich und beschwört Beke etwas zu unternehmen, bevor „etwas Schlimmes passiert“. Kurz darauf lernt er die Tänzerin selbst kennen. Auch sie möchte ihm am Abend etwas anvertrauen. Ali der Journalist soll ein Interview mit der jungen Frau machen – und lädt sie mit zur Wiedersehnsfeier ein. Unterwegs im Taxi würde sie sprechen. Außerdem sei auf diese Weise noch eine schöne Frau mehr von der Partie.
Beke besucht Schwabik in der Apotheke und sieht ihn dort mit Bea Nicky vertraulich sprechen. Schwabik scheint nicht bei der Sache. Er macht sich schon seit Wochen Sorgen, er habe Kehlkopfkrebs. Seiner Familie hat er nichts davon gesagt. An diesem Abend soll er einen endgültigen Bescheid bekommen.
Die alten Freunde machen sich in verschiedenen Gruppierungen auf den Weg: Beke, Schwabik und seine Frau fahren mit dem Bus, Decsi, Ali, Vértes und Bea lassen sich im Taxi zu Haller kutschieren. Frau Haller kommt mit dem Bus aus Pécs und Dr. Haller sucht unterdessen bei strömendem Regen Pilze im Wald. Seine Sprechstundenhilfe, die resolute, aber wenig zuverlässige Stefi freut sich auf den Abend, zu dem ihr Chef sie überraschend eingeladen hat. Dafür hat sie sich sogar eine Kurzhaarfrisur schneiden zu lassen.
Die Stimmung lockert sich schnell, man tanzt, man trinkt und unterhält sich. Da die beiden Junggesellen Ali und Vértes gern mit Bea und auch mit Stefi einen Flirt beginnen möchten, schlagen sie das Spiel „Mörder und Detektiv“ vor, welches sie in ihrer Jugend häufig gespielt hatten. Es werden Zettel gezogen – auf einem steht Mörder, auf dem anderen Detektiv. Wenn das Licht gelöscht und es völlig dunkel ist, muss der „Mörder“ sein Opfer so „schlagen“ oder „würgen“, dass es schreit. Dann kommt der Detektiv herein und beginnt mit den Vernehmungen.
In der dritten Runde passiert es: Aus dem lärmenden, lustigen Haufen wird eine schreckensstarre Gesellschaft: Bea wurde erwürgt und liegt tatsächlich tot auf dem Teppich. Beke, der in dieser Runde den Detektiv spielen sollte, beginnt sofort mit den Ermittlungen.
Schon bei seiner Frage an jeden Verdächtigen, wen er für den Täter hielte, kommen alte Abneigungen, Befürchtungen, Verdächtigungen zu Tage. „Freunde“ trauen sich nicht über den Weg, trauen dem Anderen aber alles zu; Ehepaare verdächtigen sich gegenseitig, bei Frau Haller wird immer ungeklärt bleiben, ob sie als jüdisches Mädchen mit einem arischen Pass überlebte, oder ob ihre Eltern mit einem Pass dafür sorgten, eine evtl. Nazi-Vergangenheit zu vertuschen. Bea und Schwabik wollten an das Vermögen der emigrierten Familie Haller kommen, welches in Schwabiks Haus eingemauert ist; – Vértes wollte aus „Ehre“ eine Uhr zurück kaufen und holte sich doch das Geld dafür wieder zurück. –. Auch Decsi hat ein Geheimnis. Jeder sieht im ehemaligen Freund den Mörder, versucht dem Anderen etwas anzuhängen, um sich selbst rein zu waschen.
Dann bleibt noch die Klärung des Tatmotivs: Dazu werden verschiedene Fährten verfolgt, Köder ausgelegt, Irrwege beschritten, Meinungen gebildet und wieder verworfen. – Mehr soll hier nicht verraten werden.
Stark im Text sind die Vernehmungen, die Ausleuchtung von Beweggründen, Verdächtigungen und gegenseitigem Misstrauen. Nicht so überzeugend ist die Aufklärung am Schluss. Auf diese hat Rubin wohl auch keinen großen Wert gelegt, das war ihm nicht mehr so wichtig. Wie in einem Theater treten außer der armen Bea noch einmal alle vor das Publikum, damit Beke seine Überlegungen zur Klärung des Falles dem Leser darlegen kann.
Trotz des etwas chaotischen Schlusses ein sehr spannend zu lesendes Buch – vor allem was die Zeit und die Charaktere betrifft.

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