Rezension: Végel, László – „Bekenntnisse eines Zuhälters“

Roman
Aus dem Ungarischen von Lacy Kornitzer
Verlag Matthes & Seitz, 2011
ISBN: 978-3-88221-629-5
Originaltitel: Egy makró emlékiratai
Bezug: Buchhandel; Preis: Euro 19,90

Végels Debütroman erschien bereits 1968 in Újvidék (Novi Sad). Damals wurde er von der Kritik als unmoralischer schwarzer Roman angeprangert; denn Végel zeigte schonungslos die Diskrepanz zwischen dem verlogenen Schein einer schönen jungen Welt des Sozialismus und der Wirklichkeit einer verratenen und verlorenen Jugend in einer Diktatur, die vom Westen als „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ hofiert wurde.
Das Buch ist so frisch und jung geschrieben – trotzdem schwebt über der ganzen Erzählung Melancholie einer Jugend, die nur noch auf Konsum aus ist. Sie glaubt an nichts und niemanden, auch nicht an sich selbst (und wer an sich selbst glaubt, scheitert), weil ihr alle Hoffnung genommen wurde im öden Einerlei einer erstarrten Diktatur ohne Aussicht auf eine menschliche Zukunft. Die Jungen verweigern sich total.
Ab und zu blitzt noch der Ansatz eines Willens auf, das Studium zu beenden, um wenigstens einmal einen Brotberuf zu haben, doch sofort überwuchern Lethargie und Widerwillen diesen Anflug von Arbeitseinsatz. Allein Sex und Geld zählen im Freundes- und Bekanntenkreis – und wie man Sex zu Geld machen kann. Dabei sind die Ansprüche gemessen an denen der gleichaltrigen Westler zu dieser Zeit (68er Jahre), die Weltreisen machen oder / und die Welt verändern wollten, durchaus bescheiden: Ein neues Hemd, ein Auto, vielleicht sogar ein Haus und Sex – und natürlich Geld, um sich all dieses zu beschaffen.
Der Tagebuchschreiber Blue, ewiger Literaturstudent, notiert leidenschaftslos und kühl distanziert seine Beobachtungen über seine Freunde und sein eigenes Leben. Überhaupt ist er ein Zuschauer, der sich selten einmischt, sich aber nur wohlfühlt, wenn er mit Freunden in der Menge untergehen und etwas trinken kann. Nur nicht auffallen, nicht anders sein, als alle anderen. Damit versucht er seine Angst vor der Zukunft zu beherrschen: Ständig auf der Suche nach Neuem und nach neuen Freunden. Vor seinen Vorlesungen drückt er sich. Dabei steht er kurz vor dem Abschluss seines Lehrerexamens. Professor Sík ist durchaus gutmütig, möchte weiterhelfen, doch für Blue und die meisten seiner Kommilitonen wirkt er unglaubwürdig. „Der alte Sík“ glaubt alles, was in seinen Büchern steht, übersieht dabei aber, was um ihn herum passiert, die Lügen, die Angst der jungen Generation ohne Perspektive. Mit dem immerwährenden Thema: „Das Leben ist kurz, die Kunst ist lang“, wissen sie nichts anzufangen. Professor Sík steht für das Althergebrachte, die schöne Welt der Literatur und der erhabenen Sprüche, die mit der Wirklichkeit absolut nichts zu tun haben – weswegen sich auch niemand betroffen oder angesprochen fühlt. Diejenigen, die eifrig studieren, ihre Prüfungen und Karriere machen wollen, werden hämisch als angepasste Streber abgetan, die vom System profitieren. Die Mädchen der Clique, schöne Frauen wie Csicsi, verkaufen sich, so zum Spaß oder weil sie sich und ihrem Freund einen Drink spendieren wollen – oder ein neues Hemd. Sie suchen einen reichen Mann, die Jungen ein reiches Mädchen.
Die Freunde langweilen sich zu Tode. Buchstäblich; denn das, was die Jungen führen, ist sicher kein lebendiges Leben: Zeit totschlagen, auf irgendetwas oder irgendwen warten – möglichst jemanden mit Geld. Wie es dann weitergehen soll, interessiert nicht; Hauptsache, die Angst betäuben, immer dabei sein, gut drauf sein, bei Freunden schnorren.
Als Blue einen Ingenieur kennen lernt, für den er die Mädchen während des Beischlafs fotografieren und später mit den Fotos zu weiteren Rendez-vous’ erpressen soll, fehlt es ihm nicht mehr an Geld. Skrupel kommen ihm nur ab und zu. Die Frauen scheinen mit der Erpressung durchaus einverstanden; so verspricht Sex mehr Genuss. – Blue will nichts an sich herankommen lassen, wie die drei kleine Affenstatuen, die er geschenkt bekommt: „Nur derjenige ist guter Mensch, der nichts sieht, nichts hört und nichts sagt“.
Immer wieder spielen die Freunde mit dem Gedanken „von hier“ zu verschwinden, „wenn alles hier untergeht“, doch, anders als im Westen der 68er Jahre, hat kaum einer den Mumm, gegen dieses verlogene Leben offen zu rebellieren. Die Jugend klinkt sich einfach aus.
Diese jungen Leute fühlen sich bereits alt und ausgebrannt. Einer von ihnen ist Blues Freund Hem. Sie erzählen sich, dass auch ihre Väter früher idealistische Gedanken gehabt, nun aber alles vergessen hätten, und die Jugend dafür verantwortlich machten, dass alles zerfällt; dabei hätten doch die Väter alles in Scherben gehen lassen. Sie verstehen, dass die Alten eine Schuld an ihnen abzutragen haben und sie deshalb so verwöhnend gewähren lassen, doch im Grunde sind sie sich selbst überlassen, niemand erklärt ihnen etwas, sie wissen über das Leben ihrer Eltern kaum Bescheid – nicht viel anders, als hier in den 60er Jahren.
Hem reagiert sich ab, bekämpft seine Angst, indem er Mercedes’ klaut – das Statussymbol der Reichen – einfach, weil es ihm Spaß macht. Er sagt: „Du darfst keine Angst vor der Sinnlosigkeit haben!“ und etwas später, als sich die Beiden über den gemeinsamen Freund Pud unterhalten, der neuerdings ein Herz für die Armen entdeckt hat: “Ich habe mich an die Gestrandeten gewöhnt. Also sind sie nicht existent. Unsere Augen sehen nicht und wir sind taub. Es ist gar nicht so schwer, glaub mir. Ich schließe die Augen und denke an etwas Aufregendes. Die da oben träumen, und ich belüge mich“. Hem will sich frei machen von allem, dann hat er auch nichts mehr zu verlieren.
Merkurosz, ein Student, den Blue immer misstrauisch beobachtet hat, weil dieser so sicher wirkte, so, als wüsste er alles, fährt eines Tages mit Csicsi weg. Das Meer verheißt Freiheit. Sie wollen ein neues Leben beginnen. Merkurosz will alles aufschreiben, was er bei seinen Kommilitonen in Újvidék beobachtet hat. Doch er scheitert, kann am neuen Ort kein anderer werden und kehrt geschlagen zurück. Ein Fiasko!
Gegen Ende des Romans braut sich doch etwas zusammen: Pud will aufs Land um richtig zu arbeiten, Hem und Merkurosz fahren sich in einem geklauten Mercedes zu Tode. Blue ist sicher: Ein vorbereiteter Selbstmord; denn: „Es ist genau das passiert, …. worauf er sich ein Leben lang vorbereitet hatte“. Hem ist also der Einzige, der wirklich ausgestiegen ist. Blue fühlt sich irgendwie schuldig, weil er den Mut nicht aufgebracht hat, aber er kündigt seinen Job beim Ingenieur und fährt mit Csicsi weg. Irgendwohin, Hauptsache, weg, um sich auszuruhen von den Erschöpfungen der letzten Jahre. Nicht sesshaft werden, weiterziehen, wenn es nicht mehr gefällt, das soll das Ziel sein.
In einem Rundfunkinterview erzählt Végel, wie er bei der Arbeit mit seinem Übersetzer gemerkt hat, wie aktuell sein Erstlingsroman ist: Nicht nur in Serbien haben die Jugendlichen Angst, z. B. vor Arbeitslosigkeit. Die Angst ist global geworden, auch bei den Erwachsenen. Sie beherrscht den Alltag, die intellektuelle und die politische Sphäre. Um ihr zu entrinnen, stürzt sich die Menschheit in einen Konsumrausch.

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