Rezension: Doma, Ákos – „Die allgemeine Tauglichkeit“

Roman
Verlag: Rotbuch, 2011;
ISBN: 978-3-86789-124-0
Bezug: Buchhandel, Preis: 18,95 Euro

Am 1. März 2012 wurde dem Autor der Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis verliehen. Aus der Begründung der Jury heißt es: „.. gestaltete Akos Doma eine moderne Gaunerkomödie auf sprachlich raffinierte und außerordentlich witzige Weise. Sie ist eine hintersinnige Parabel auf die vielfältigen Zumutungen unserer Gesellschaft. …. ein ungewöhnlich unterhaltsames Leseabenteuer über vier Außenseiter, die auf der Suche nach einer neuen, lebenstauglichen Identität kaum einen Irrweg auslassen…“
Gleich vorneweg, diesem Urteil kann man sich voll und ganz anschließen. Mit Vergnügen und Empathie folgt der Leser den vier Freunden, wenn sie ihre mitunter krausen Philosophien ablassen und wenn sie versuchen, sich durchs Leben zu wursteln. – Bis Albert auftaucht, der Tausendsassa, dem alles zu gelingen scheint.
Doch der Reihe nach:
Da liegen die vier Loser auf der faulen Haut, leben von Hartz IV. Aber: „Wir sind keine Bettler, wenn schon, dann stehlen wir. Es geht uns gut, wir haben keine Angst vor der Zukunft, wir wissen, dass wir keine haben, nie eine hatten.“
Ferdinand, „Fern“, für seine Freunde, der Erzähler, Amir, der Illegale aus dem Iran, Igor aus Nowosibirsk, und Ludovik, der verhinderte Selbstmörder. Sie leben in einer Bruchbude am Bahndamm, weit außerhalb der Stadt, in einer Sackgasse, „am Hinterausgang der Welt“, wohin sich niemand verirrt, nicht einmal ein Sonnenstrahl.
Fern, „von Geburt an arbeitslos“, schwankt zwischen Selbstmitleid und Zynismus, behauptet, seine Frau habe ihn vor die Tür gesetzt, weil er sich zu keiner Arbeit aufraffen konnte. Nun würde ihm auch sein Töchterchen Anna vorenthalten. Amir malt Pflasterbilder in Fußgängerzonen, ständig auf der Hut erwischt und ausgewiesen zu werden. Ludovik, der Jüngste, hat im Erziehungsheim das Schlosserhandwerk gelernt. Sein Vater hatte sich gleich nach dessen Geburt davon gemacht, darum braucht er häufig Beweise von Liebe und Zuneigung und zieht deshalb immer wieder eine Suizid-Nummer ab. Igor, der notorische Säufer, sehnt sich nach seinem Sibirien. Er wird von Zeit zu Zeit eingesperrt, nicht ungern; denn im Knast ist es warm und er bekommt genug zu essen – und vor allem gibt es dort keinen Wodka, von dem er sich einfach nicht lösen kann.
Am liebsten drücken sie sich die Freunde in der Stadt herum, fläzen auf ihrer Lieblingsbank und begaffen die Frauen, sehnen sich aus der Ferne nach ihnen oder erhaschen eine Möglichkeit sie flüchtig zu betatschen. „Aber es gibt keine Frauen, die sich mit dir einlassen“. In den Augen der Gesellschaft sind sie NICHTS, doch sie reden sich ein, äußerlich gehe ihnen manches ab, was die Gesellschaft für unbedingt nötig erachte, „aber im Innern, dort, wo bei anderen zappendustere Nacht herrsche, Angst und Kälte und Korruption, leuchtet bei uns ein sonniger, ewiggrüner Hain.“ Trotzdem, die Vorstellung eines bürgerlichen Lebens – es darf ruhig etwas spießig sein – malen sie sich immer wieder aus – nur arbeiten sollten sie nicht müssen:
Erinnert sich jemand an den Film aus den 60er Jahren, „Das Wirtshaus im Spessart“, – darin singt Wolfgang Neuss das passende Lied: „Ach, das könnte schön sein / als friedlicher Bürger / ein ehrbares Leben / zu Haus zu beschließen. / Ach, das könnte schön sein / ein Häuschen mit Garten / in dem ich und Frauchen / unsre Rosen begießen“.

Eines Tages machen sie einen richtigen Bruch in einer schlecht gesicherten Villa: Trinken und essen, baden und schlafen in Betten mit seidener Bettwäsche! So muss das Paradies auf Erden aussehen!
Im gestohlenen Wohnmobil fahren sie schließlich los, bepackt mit allem, was sich zu Geld machen lassen könnte. Doch die Pechvögel kommen nicht weit. Schon am nächsten Tag zerstört ihnen ein Unwetter alles; sie können sich nur mit Mühe retten. Wieder zu Hause beobachten sie einen Mann in ihrer „Burg“, der ihr schmutziges Geschirr abwäscht:
Es ist Albert Nachtigall, der aus den vier abgerissenen Gesellen unbedingt rechtschaffene Bürger mit geregelter Arbeit machen will. Zunächst dulden sie seinen Sauberkeitsfimmel, dann wird er ihnen lästig, dann haben sie ein schlechtes Gewissen, wenn sie so faul herumlümmeln. Ludovik und vor allem Fern sträuben sich noch nach Kräften. Es soll sich nichts ändern, haben sie sich doch so schön in ihrer kleinen heilen Welt eingerichtet! Albert ist geradezu beängstigend aktiv, optimistisch und stets gut gelaunt. Er kocht für die ganze Bande, streicht die Wände, fühlt sich beeindruckt von Amirs Bildern, bestärkt ihn, sieht in ihm einen echten Künstler. Fast unmerklich verändert sich alles: Das Haus, seine Einwohner. Albert appelliert an ihre inneren Werte. Als erste fallen Amir und Igor um; denn Albert nimmt sie ernst, kann die Freunde mit Arbeit versorgen, sogar Ludovik. Albert, der unverbesserliche „Gutmensch“, weiß immer, wo es lang gehen soll, zeigt dabei aber auch seltsam spießbürgerliche Züge, z.B., als er Plastikblumen in eine Vase stellt. Fern rastet aus, er stemmt sich gegen Alberts Versuche sie zu zivilisieren. Als er aber bemerkt, wie die Drei sich haben von dem „Rattenfänger“ herumkriegen lassen, kommt so etwas wie Neid in ihm auf. Vor lauter Frust auf sein früheres Leben, in dem ihm nichts gelungen war, redet er sich ein, dass es das Leben eines Tippelbruders ist, das er unbedingt will, ringt alle Regungen an ein sesshaftes, „normales“ Leben mit Frau und Kind und Arbeit nieder.
Doch als Albert die verrückte Idee kommt, die alte Bruchbude in eine schicke Pension zu renovieren, lässt er sich anstecken. Eine wochen-, ja monatelange Maloche beginnt. Nicht nur, dass die Vier sich auf ihren löchrigen Matratzen in den staubigen Dachboden zurückziehen müssen, sie werden im Eiltempo, von Arbeit zu Arbeit gehetzt und finden das sogar in Ordnung; denn jetzt haben sie zum ersten Mal ein Ziel vor Augen, die gesicherte Zukunft, geregelte Arbeit und Wohlstand, ein bürgerliches Leben. „Es ist eine Wonne, mitzuverfolgen, wie sich das Chaos Stück für Stück in Ordnung, unsere Bruchbude in eine schmucke Pension verwandelt.“ Sie gebärden sich schon ganz wie die herzlosen Bürger, die sie früher so verachtet haben; denn als sich eines Tages ein Landstreicher in ihr frisch geputztes Haus legt, um seinen Rausch auszuschlafen, werfen sie ihn grob hinaus.
Die Erwartung war zu groß, daher ist auch die Enttäuschung gewaltig. Am Tag der Eröffnung kommt niemand in ihre Einöde, keiner der geladenen Gäste, kein Reporter lässt sich blicken. Und als Albert dann auch noch davon fährt, weil er „noch etwas zu erledigen“ habe, kennen Wut und Zorn keine Grenzen mehr. Sie trinken was das Zeug hält, überbieten sich darin, Albert herunterzumachen, ihm unlautere Absichten zu unterstellen. Mit Alberts Laster, sturzbetrunken, fahren sie ab. Plötzlich ist ihnen klar, dass sie sich schon viel zu lange hatten herumschikanieren lassen. “Wir wissen schon gar nicht mehr, wie das geht, feiern und fröhlich sein, es wird Zeit, es wieder zu lernen.“… Wie die Vier sich wieder treffen, zum Schluss doch noch alles gut wird, könnte ein Happy End sein. Doch Igor, der die Pension übernehmen will, verspricht, dass die Freunde immer wieder zurückkehren können: „Ihr alle, die ihr jetzt in die weite Welt hinausziehen wollt, die ihr aber bald wieder vor der Tür stehen werdet, wenn euch die Menschen einmal angespuckt haben, weil ihr nicht ihren Erwartungen entsprecht ….“.
Und wenn man sich den Anfang des Romans ins Gedächtnis zurückruft, wie Fern seine Freunde und ihre „Burg“ (im Präsens!) vorstellt, könnte es auch sein, dass alles ein schöner und aufregender Traum war, ersonnen in sehnsüchtigen Augenblicken.

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