Rezension: Krúdy, Gyula – „Das Gespenst von Podolin“

Roman
Buchreihe: Literaturwunderland Ungarn
Aus dem Ungarischen von György Buda
Verlag: Kortina; ISBN: 978-3-9502315-6-4
Originaltitel: A podolini kísértet
Bezug: Buchhandel Preis: Euro 18.90

Zum Text:
Der exzellente Romancier Krúdy erzählt ironisch eine märchenhafte, aber eigentlich banale Geschichte, zwar in der Zeit um die Jahrhundertwende angesiedelt, aber dennoch zeitlos; denn sie spiegelt den Traum der einfachen Leute wieder. Er führt den Leser in eine überaus verschlungene Geschichte, in der es geistert und spukt, arme Leute reich und Adelige arm werden, unglückliche Lieben enden und eine glückliche beginnt. Er verwebt vor uns wunderbare Landschaftsbilder, Dörfer mit ihren Menschen und Herrschaften, schrullige Käuze und märchenhafte Begebenheiten zu einem dichten Bild und bietet uns damit die farbige Beschreibung der damaligen Zeit, als das „alte Ungarn“ bereits im Niedergang begriffen war.
Der Autor wechselt von einem Kapitel zum anderen zwischen seinen Hauptpersonen, dem slowakischen Waisenmädchen Antschurka, dem Burgherrn von Niszder, György Kavaczky, dem Verwalter Kázmér Riminszky und der Uhrmachertochter aus Heidelberg und späteren Burgherrin in Ungarn, hin und her. Damit die Geschichte nicht zu unübersichtlich wird, gebe ich die Einzelabschnitte zusammengefasst wieder. Außerdem erwähne ich nur die wichtigsten Namen.

Inhalt:
Die Erzählung beginnt im verschlafenen Städtchen Podolin. Dort lebt der reiche Gutsherr und Sonderling Kázmér Riminszky, polnischer Herkunft. Er hatte seinen Reichtum als Gutsverwalter des Burgherren von Nizsder, Kavaczky erworben, ebenso wie mit der Zucht riesiger Schafherden. Kavaczky, der letzte seines Geschlechts, unverheiratet und kinderlos, fand bis zum Tod nichts schöner, als sich von der Blaskapelle von Kranyoka einzig immer den Rákóczi-Marsch aufspielen zu lassen und dazu mit Gästen oder allein Unmengen Tokajer Wein zu trinken. Zuerst waren alle Gutsherren und Adeligen darauf versessen, eingeladen zu werden, doch allmählich wurde er so versponnen, dass alle ausblieben und er einsam sterben musste. Die Legende freilich weiß auch hier so manches zu berichten, dass nämlich am Tag vor seinem Tod jemand in der Burg erschienen war, mit dem er bis zum Umfallen getrunken habe. Und diesem Sámuel Pogrányi habe er dann die Burg vermacht, was der Notar bezeugen kann. Diesen neuen Burgherrn bekommt allerdings nie jemand zu Gesicht, einzig die Wirtschafterin, die Witwe Komáromi, führt alle seine Wünsche und Befehle aus, scheint immer und überall gleichzeitig zu sein, dem neuen Burgherrn entgeht rein gar nichts. – Die Witwe auf ihrer Kutsche, die sie selbst lenkt, ist sofort zur Stelle. Besonders die Säufer werden verfolgt. Neue Zeiten sind angebrochen, in der Burg wird nichts mehr getrunken, keine Gäste eingeladen. Die unterschiedlichsten Gerüchte schwirren umher. Nur eines ist gewiss: Der Lohn wird pünktlich bezahlt, der blinde, ehemalige Trompeter weiter beschäftigt. Er wartet vor der Zimmertür sitzend, auf die Glocke, die ihn zu seinem Herrn ruft. Sonst herrschte Totenstille in und über der Burg. Nur zuweilen kommt ein Besucher, nämlich Gutsherr und Verwalter Riminszky. Ihm zu Ehren gibt es sogar Wein aus dem tiefen Keller. Einige Verwegene wollen sogar gesehen haben, dass eine weibliche Hand mit einem weißen Taschentuch Riminszky aus einem Fenster nachgewinkt habe. Und ein ganz Vorwitziger behauptet gar, der neue Burgherr sei eine Frau.
Zwischendurch erfährt der Leser vom armen slowakischen Bauernmädchen, der Waise Anna (Antschurka) Prihoda. Sie ist 15 Jahre alt, ihr Vater in Amerika verschollen, die Mutter im eisigen Winter viel zu früh verstorben. Antschurka wandert nach Podolin. Dort führt ihre Tante, die Witwe Marczinka mit dem betagten „Zwerg“ Mik den Haushalt von Riminszky. Das Mädchen hilft bei der Arbeit, wird von allen gern gesehen und als ihr noch eine kleine weiße Katze zuläuft, die sie innig liebt, wird sie von allen Hausbewohnern geradezu verhätschelt. Besonders aus dem anfangs ablehnenden Mik wird allmählich der besorgte Beschützer. Selbst der Herr beginnt sich für sie zu interessieren. Und das kommt so: Als der einmal ziemlich krank ist und deshalb schlechter Laune, wird Antschurka mit ihrer Katze zu ihm gerufen, um ihm die Zeit zu vertreiben. Später gibt er das Mädchen in die Obhut des Burgherrn von Niszder, der sich tatsächlich als Frau entpuppt, die häufig unerkannt in Männerkleidern unterwegs ist, um ihre Untertanen zu beobachten, zu bestrafen oder zu belohnen.
Diese Burgherrin war einst das Lieschen Warth aus Heidelberg. Als die Mutter gestorben, der Vater und Uhrmachermeister sein Handwerk altershalber nicht mehr ausführen kann und das Geld knapp wird, nehmen sie einen Studenten, nämlich György Kavaczky de Niszder, einen jungen reichen Ungarn mitsamt seinem Hund Poprád in Kost und Logis. Bald freunden sich hauptsächlich Vater Samuel Warth und der junge Mann an. Der Hund bringt auf mysteriöse Weise noch einen weiteren ungarischen Gast, den Dichter Sámuel Pogrányi, ins Haus. Der alte Herr liebt Musik, hat selbst schon komponiert, damit aber im örtlichen Musikverein Missfallen erregt. Und so zieht er sich mehr und mehr ins Haus zurück. An den Abenden spielt Lieschen die Harfe, der Vater die Oboe, Kavaczky schmaucht seine Pfeife und der angehende Dichter hört verzaubert zu. Klar, dass sich die beiden jungen Männer in Lieschen verlieben. Als Vater Warth sein Ende herankommen fühlt, übergibt er Kavaczky die Verantwortung für seine Tochter. Der junge Mann ist zwar etwas verdutzt über seine neue Aufgabe, doch da er verliebt ist in Lieschen (das redet er sich wenigstens ein), macht er aus ihr ein „Fräulein mit Schmuck, Garderobe und einem prächtigen Hochzeitskleid“.
Während der Verlobungszeit gehen seltsame Veränderungen mit Sámuel Pogrányi vor sich: Er, der früher nie Alkohol getrunken hatte, findet sich oft in Gesellschaft liedriger Studenten und ist häufig betrunken. Dem Leser ist schnell klar, dass er sich unsterblich in Lieschen verliebt hat, aber gegen den reichen Nebenbuhler, dem zudem die Tochter versprochen ist, nichts ausrichten kann. Inzwischen verstirbt auch Kavaczkys Vater. Mit Hilfe des Verwalters Kázmér Riminszky soll er sein Erbe antreten, die Hochzeit daher möglichst rasch gefeiert werden. Am Hochzeitstag, als Kavaczky seine Braut abholen will, ist diese verschwunden. Riminszky hetzt ihn geradezu auf, den Nebenbuhler zu stellen und ihn zum Duell zu fordern. Bald sind die beiden Verliebten auch gefunden. Lieschen kann gar nicht glauben, dass sie Kavaczky folgen soll, wo sie doch nur Pogrányi liebt. Dieser nimmt die Forderung an und fällt.
Kavaczky zieht sich gekränkt auf seine Burg zurück und wird dort zum trinkenden Sonderling, unterstützt von Riminszky. Aus der Ferne beobachten sie Lieschens, Elisabeths, Schicksal, die zur weltberühmten Reitkünstlerin wird und in großen Zirkussen auftritt, bis sie sich ein Bein bricht und nicht mehr auftreten kann.
Das ist die Zeit, als ein Jemand in der Burg auftaucht, mit dem gealterten Kavaczky um die Wette trinkt, worauf dieser bekanntlich stirbt und die Burg den Besitzer wechselt. Nur Riminszky hat, wie gesagt, Zugang zu den Gemächern, nur er allein sieht den Burgbesitzer.
Antschurka nun fühlt sich gar nicht wohl bei ihrer neuen Herren, die so unberechenbar ist, dass sie diese einmal schlägt, ein anderes Mal mit Geschenken überhäuft. Besonders nachts muss sie häufig zur Stelle sein, wenn Elisabeth Warth – die Burgherrin, Albträume hat, Gespenster sieht, mit denen sie sich auch unterhält und zwar mit Kavaczky, als auch Pogrányi. Die Gespenster scheinen so real zu sein, dass auch das Dienstmädchen sie sieht und sich immer mehr fürchtet. Da hilft auch die kleine Katze nicht. Eines Tages ist Antschurka verschwunden und Elisabeth behauptet Riminszky gegenüber, der sich besorgt erkundigt, sie habe sich im Schloss gelangweilt und sei einfach ausgerissen.
Riminszky hat sich natürlich längst in Antschurka verliebt, sucht und findet sie wieder bei ihrer alten Tante, die inzwischen auf ihr Altenteil gezogen ist. Er macht der jungen Frau den Hof, will sie heiraten.
Eines Tages wird er auf ein weißes Phantom aufmerksam, das er als Aberglauben abtun will, doch ist ihm recht gruselig zumute.
Bald darauf läuten die Totenglocken von Niszder; Elisabet ist plötzlich gestorben. Er will die Leiche sehen und ihm ist, als würde sie ihm zublinzeln.
Kurz, natürlich ist Elisabeth nicht tot, sie befreit sich mit Hilfe des Arztes aus ihrem Sarg und spielt künftig Gespenst, das als weißes Wesen überall auftaucht und genauso geheimnisvoll verschwindet.
Riminszky fühlt sich hin und her gerissen zwischen seinem schlechten Gewissen Elisabeth gegenüber und seiner Verliebtheit in Antschurka. Die Liebe siegt und der Hochzeitstag wird anberaumt.
Irgendwie fühlt er sich aber die ganze Zeit beobachtet und verfolgt, bis es am Tag vor der Hochzeit zu einer folgenschweren Begegnung mit Elisabeth kommt, die als mittelalterliche scharlachrote Gestalt in einer Schenke hinter ihm steht. Sie ist gekommen, um nun mit ihm abzurechnen.
Sie erzählt, dass sie damals Kavaczky zum Selbstmord gedrängt habe (oder war es Giftmord?), als Sühne für den Tod ihres Geliebten. Nun sei er, Riminszky an der Reihe. Am nächsten Morgen findet man ihn tot in seiner Kutsche.
Von diesem Tag an sieht man immer wieder eine scharlachrote Gestalt auftauchen, zuweilen hört man aus der Burg Harfenklänge – obwohl die Burg doch längst leer und verlassen ist.
In Topperz, Antschurkas Heimatdorf taucht aber doch, denn die Geschichte muss ja einen guten Schluss haben, der verschollene Vater Prihoda auf, der seine Tochter nun mit auf eine Weltreise nimmt. Bald schon erfahren die Dorfbewohner, dass sie an der Riviera einen jungen Herrn aus Lublau, Gábor Angyalffy, geheiratet hat. Der Erzähler weiß, dass sie glücklich mit ihrem Mann in einer großen Kinderschar lebt. Immer wieder wird allerdings ein rotes Gespenst gesehen und die Legende behauptet, dass dieses niemand anderer als Elisabeth Warth sei – obwohl die doch längst gestorben ist. „Wer kennt sich aber schon bei Legenden aus“? fragt der Autor am Ende.
© Gudrun Brzoska

 

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