Rezension: Szép, Ernő – „Die Liebe am Nachmittag“

Roman
Aus dem Ungarischen von Ernő Zeltner
Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2008
ISBN: 978-3-423-24688-0
Originaltitel: Ádámcsutka, 1935
Bezug: Buchhandel Preis: Euro 14.90

Heute würde man sagen: Ein Mann befindet sich in der „Midlife-Crisis“. Mihály, Journalist, Feuilletonist, Stücke-Schreiber, Kritiker, aber vor allem Lebenskünstler, ist gerade 46 geworden. Er erschrickt über die ersten grauen Haare, einige Falten, den kleinen Bauchansatz, Müdigkeit und Melancholie. Ewig steckt er in Geldsorgen, denn ehrgeizig und zielstrebig ist er nicht, arbeitet nur so viel, dass er gerade über die Runden kommt. Und wenn er wirklich einmal ein Stück am Theater unterbringen kann, werden seine Tantiemen gnadenlos von seinen Gläubigern, Schneider, Hutmacher, Tippfräulein und anderen, gepfändet. Dazu kommen noch seine Probleme mit den Frauen. Er, ein Charmeur alter Schule, liebt die Frauen, das heißt, er würde sie gerne lieben – und von ihnen wieder geliebt werden, doch sie schenken ihm immer nur den Nachmittag, betrügen ihre ungeliebten Männer, suchen ein Abenteuer mit dem weltgewandten, eleganten Mann.
Z. Zt. hat er schon seit zwei Jahren eine Affäre mit „5 (cinq) Fleurs“, die er nach ihrem Parfüm nennt. Doch die Beziehung, der Tratsch, das geringe Interesse an Bildung, die ewigen Gespräche um Mode langweilen ihn bereits, wenn sie ihn ab und zu auch amüsieren; er macht sich dann vor, daraus Stoff für seine Romane oder Theaterstücke zu finden. Aus purer Gewohnheit bleibt er mit ihr zusammen, schränkt die Treffen aber drastisch ein, schützt Arbeitsüberlastung vor. Meist schreibt er allerdings irgendetwas, dessen er sich oft genug schämt, nur damit er wieder ein paar Pengő verdienen kann. Gutmütig und gutherzig sorgt er für Mutter und Schwester, hilft Künstlerkollegen, die noch ärmer sind als er – und kaschiert diese Gefühle gern mit Zynismus.
Doch nun ist ihm etwas so Schönes widerfahren: Iboly, eine junge Schauspielschülerin hat ein Auge auf ihn geworfen, hat sich, ganz nach Backfischart in den älteren Herrn verliebt, von dem sie viel lernen will. Zu Anfang ist Mihály eher unwillig. Mit so einem jungen Ding will er sich in seinem Alter nicht abgeben. Väterlich versucht er, ihr etwas Schliff im Umgang beizubringen, von seinem wenigen Geld kauft er ihr einige Kleinigkeiten wie Handschuhe, Retikül, Mantelfutter, damit sie nicht gar so unmöglich daher kommt. Gleichzeitig entzückt ihn ihre frische Art aber immer mehr; sie kann so unbekümmert drauflos plappern, erzählt alles, was ihr durch den Kopf geht. Jung und jungenhaft kann er mit ihr lachen, schert sich auf einmal nicht mehr darum, ob er gesehen wird und was die Leute denken.
„Vernaschen“ möchte er sie nicht. Im Gegenteil, er macht sich Gedanken, „es“ ihr schön zu machen – „es“ soll eine lebenslange schöne Erinnerung für sie werden, wenn sie sich ihm hingibt. Er fühlt sich verantwortlich für dieses „Kind“. Je mehr Iboly ihm Avancen macht, umso nachdenklicher wird er – obwohl er sie schon auch gerne gehabt hätte. Doch irgendetwas fehlt ihm, irgendetwas gibt sie ihm nicht. Er sucht die echte, tiefe Liebe, um deren Preis er sich auch binden und treu sein würde.
Als Iboly ausgewählt wird, die Hauptrolle in einem Prüfungsstück zu spielen – die Protagonistin befindet sich in einer ähnlich hoffnungslos armseligen Lage wie sie – erkennt er ihr nur mittelmäßiges Talent.
Und er schiebt sie sachte einem Verehrer zu, einem Metzgersohn, mit dem sie Kinder haben und glücklich werden soll. Dass er ihr damit die künstlerischen Träume stutzt, wird sie dann schon verwinden. Ja, er geht sogar einen Schritt weiter und spricht mit dem jungen Mann, ermuntert ihn, Iboly zu hofieren.
Dass die Begegnung mit Iboly etwas Schönes war, in ihrer Unbekümmertheit, Naivität und Frische, das erkennt er jetzt, da er seine Tagebucheinträge kritisch analysierend zusammenfasst. Jetzt endlich erkennt er auch den Hauch von Glück, leicht und flüchtig wie ein Schmetterling, der über dieser Begegnung geschwebt hatte.
Alle Kapitel sind mit „Nacht“ überschrieben. Nachts nämlich schreibt er Tagebuch, der Nachmittag gehört den Frauen, der Liebe, den wunderschönen Spaziergängen durch Budapest, der Beobachtung seiner Mitmenschen, den Einladungen in reiche und arme Häuser, der Natur.
Mihály ist ein Wanderer zwischen den Welten, zwischen den beiden Weltkriegen. Den ersten hat er als Soldat mitgemacht, er sinniert immer wieder darüber nach – sowie er über den Tod, über das Leben an sich, kurz, wie bin ich als Mensch – in tief melancholische Gedanken gerät.
Als ob der Autor, Ernő Szép in der Figur des Mihály schon geahnt hätte, dass die Zeit der eleganten, leisen und diskreten Dichter einige Jahre später, mit dem Einfall von Hitlers Truppen und danach, mit der Zeit des Sozialismus, vorbei sein würde. Die Zeit davor war noch die Welt des Bürgertums, der Kaffeehäuser, der Diskretion, „man“ wusste, wie man sich zu kleiden, zu geben hatte, selbst wenn die guten Umgangsformen und das „Gewusst-wie“ den von Auftrag zu Auftrag hastenden Mihály fast an den Abgrund des finanziellen Ruins brachten.
Ernő Zeltner, der auch Márai übersetzt hat, trifft den wunderschön leichten, eleganten, witzigen, auch zynischen Ton, die Melancholie, die alles einhüllt, in jeder Nuance, so dass es eine wahre Freude ist, dieses Buch der leisen Töne zu lesen. Hoffentlich werden auch bald die anderen Romane von Ernő Szép übersetzt und publiziert.
© Gudrun Brzoska

 

Print Friendly, PDF & Email
Dieser Beitrag wurde unter Szép, Ernő - "Die Liebe am Nachmittag" veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.