Rezension: Kinsky, Esther – „Sommerfrische“

Roman
Verlag: Matthes & Seitz, 2009; ISBN: 978-3-88221-722-3
Bezug: Buchhandel, Preis: Euro 16,80

„Sommerfrische“, der erste Roman der 1956 geborenen Übersetzerin Esther Kinsky, erzählt von einem Somer in einer abgelegenen Ferienkolonie (ungarisch: üdülő) in Südostungarn, direkt an der rumänischen Grenze. So idyllisch der Titel des Romans auch anmutet, der Schein trügt: Vom stinkenden Flußufer ist die Rede, am Wasserrand tümmeln sich Ratten und die Bewohner und Gäste – in ihrem Lebensalltag auf das Notwendige beschränkt – sind alles andere als unbeschwert. Dennoch: Der Sommeraufenthalt im üdülő bringt Licht in ihren eintönigen Jahresverlauf und so sehnen sie alljährlich die Sommermonate herbei.
Auch im Jahr der Erzählung fiebern sie schon im Frühjahr ihrem Aufenthalt dort entgegen; die Männer bereiten die Ferienhäuser vor, es wird ‚eingefeiert‘ und zu Beginn der Feriensaison schließlich folgen die „weichen, breiten, weißen Frauen“ namens „Zsusza oder Marika“ in ihren Miniröcken und ‚Glitzerschlappen‘.

Einer der Sommergäste ist Lacibácsi, der das Jahr über einen Schrotthof hält und stolzer Besitzer eines ‚Swimmingpulls‘ ist, im Sommer jedoch als ‚mannamfluss‘ und ‚Pappelschattenmann‘ im „lauen üdülőherz des Sommers“ eine Kneipe betreibt. Auch seine ganze Verwandtschaft verbringt ihren Sommer im üdülő – „schnauzbärtige Magermänner und frischfrisierte Schönflüsterer, Mundspitzkünstler, Taschenspielschüler, die großen Zwiebelkönige der Ebene, die Melonenschiffer der Entwässerungsgräben, hundescheu und katzenlieb, die Unterholzfäller im baumlosen Land der klirrenden Winter.” – Immer wieder faszinieren und betören in diesem Buch Wortschöpfungen, die Figuren, Dingen und Situationen eine poetische Note verleihen.

Ein anderer Gast ist Antal, ein Gelegenheitsarbeiter, der für die in der Erzählung namenlos bleibende ’neue Frau aus der Fremde‘ seine Frau Ildi und seinen Sohn Miklos verlässt.
Anders als die vielen Nebenfiguren des Buches treten diese Figuren deutlicher als Subjekte aus der Erzählung hervor. So wird in einem Kapitel aus der Sicht des Sohnes Miklos die Mutter Ildi als Trinkerin geschildert und der Moment dargestellt, in dem sie von Antal verlassen wird; in einem anderen Kapitel wiederum wird der gleiche Moment aus der Perspektive Ildis geschildert.
Antals ’neue Frau‘ hüllt sich bis zum Ende der Erzählung in Schweigen und singt dann am Mikrofon den Refrain eines ungarischen Volksliedes, das ihr nicht aus dem Kopf geht: „Idegen földre ne siess“ (deutsch: Eile nicht in die Fremde). Aller in diesem Lied enthaltenen Vorwarnung zum Trotz fährt sie zum Ende des Sommers mit Antal in einem Kahn über den von ihr zuvor immer gemiedenen Fluss und kommt in diesem schließlich um.
Hat der Fluss im Jahr der Erzählung bis dahin nicht wie in vielen Jahren zuvor Leichen angeschwemmt, fordert er zum Ende der Sommersaison eben doch ein Menschenopfer und stellt damit das Gleichmaß der Natur wieder her. So läutet der Regen das Ende der Sommerzeit ein, die ‚Kozakjungs‘ räumen auf und bereiten alles für den Aufbruch vor.

Im Vordergrund dieses schmalen Romans steht weder die Handlung noch die tiefergehende Schilderung der Beziehungen der Figuren untereinander, sondern die überaus sinnliche und lyrische Vermittlung der Atmosphäre. Die vielen kurzen Kapitel mit ihren wie Schlagwörter wirkenden Überschriften – ‚Zuckerfabrik‘, ‚Schäferblock‘, ‚Agrocompany‘ und immer wieder ‚üdülő‘ – wenden sich unterschiedlichen Perspektiven zu und betonen so den fließenden Strom kleiner Details und Ereignisse. Die Sprache überzeugt dabei durch einfallsreiche Anschaulichkeit: „… der Mond, so schwer und rot, furchig und uneben wie ein Stück Wurst, saß jedermann im Nacken, woher kam so ein Mond, der gestern noch weiß geschienen hatte, wer hatte untertags so an ihm gekratzt, das er blutet und ganz nah an die Stadt gerückt ist, als wolle er Obdach, auch er?“

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