Rezension: Gárdonyi, Géza – „Sterne von Eger (Tödlicher Halbmond)“

Historischer Roman
Aus dem Ungarischen von Mirza Schüching
Verlag Corvina und Prisma & Corvina, 2009 und 1969
ISBN: 978-963-13-5806-3 (Ausg. 2009)
Originaltitel: Egri csillagok, 1899/1900
in Deutschland erhältlich nur in Antiquariaten oder direkt beim Corvina Verlag, Budapest

Bereits im 14. Jahrhundert hatte die Expansion des osmanischen Reiches auf Europa begonnen, entlang der Mittelmeerküste und auf dem Balkan Richtung Wien. 1521 eroberten die Türken Belgrad und 1526 verlor Ungarn eine entscheidende Schlacht bei Mohács gegen den Sultan Suleiman I.. Dabei fiel der erst 20jährige ungarische König Ludwig II. In den nachfolgenden Kriegen ging es dann hauptsächlich um den Besitz Ungarns. Es stritten sich der habsburgische Erzherzog Ferdinand, der aus einem früheren Vertrag ein Anrecht auf Ungarn hatte und der siebenbürgische Magnat János Szapolyai (hier: Johann Zápolya), der von den Osmanen unterstützt wurde. Zápolya ließ sich 1526 als János I. zum König wählen, und1527 sagte ihm der Sultan seinen Schutz gegen den inzwischen ebenfalls zum König gekrönten Ferdinand I. zu. Die Adeligen Ungarns erhofften sich mal vom Habsburger Ferdinand, mal vom Ungarn János Unterstützung und Vorteile und wechselten häufig ihre Gefolgschaft. Suleiman war es daher ein Leichtes, die beiden Gegner immer wieder gegeneinander auszuspielen: Mal schlossen sie mit dem einen, mal mit dem anderen Frieden, der jedoch von keiner Seite dauerhaft eingehalten wurde. Im Friedensschluss von Wardein 1538 hatte sich Zápolya verpflichtet, nach seinem Tode Ferdinand als König anzuerkennen. Nach seiner Heirat mit Isabella, der Tochter des polnischen Königs Sigismund I. wollte er von der Vereinbarung jedoch nichts mehr wissen und seine türkenfreundliche Politik fortsetzen. Kurz nach der Geburt seines Sohnes 1538, starb König János I. Nun versuchte Isabella mit Hilfe János’ Berater, dem Kleriker und Staatmann „Bruder Georg“ (im Buch Frater Georgius, bzw. Georg Martinuzzi) die Ansprüche ihres Sohnes, Janos II. zu sichern. Viele der mächtigen Adeligen wechselten aber die Partei und schlossen sich König Ferdinand an. Nur wenige Anhänger blieben noch, unter ihnen die Großadeligen Bálint Török und Péter Petrovics. 1541 lockte der Sultan Török in eine Falle und setzte ihn bis an sein Lebensende in Konstantinopel gefangen. Dem Sohn János I. überließ er das Gebiet jenseits der Theiß und Siebenbürgen gegen eine Jahressteuer von 10 000 Goldgulden. Damit gehörten die östliche Hälfte Oberungarns (heute Slowakei mit Kaschau) und die Große ungarische Tiefebene zu János’ Herrschaftsbereich, Zentral- und Südungarn zum Osmanischen Reich, Nord- und Westungarn Ferdinand I.. Trotz verschiedener Waffenstillstände und Friedensschlüsse expandierten die Osmanen immer weiter Richtung Wien. Die Habsburger waren nicht fähig Ungarn zu verteidigen, da Kaiser Karl V. (Ferdinands Bruder) in jahrelange Kriege mit Frankreich verwickelt war.
1551/52 gingen die Türken im Banat zum Angriff über und eroberten eine Reihe von Grenzburgen, darunter Veszprém, Szolnok, Temesvár, Karansebeş und Lugoş: Alles Burgen, die zum ehemaligen Zápolya-Land gehörten. Die schlechtbezahlten Söldnerheere plünderten lieber Städte und Dörfer, anstatt gegen die Türken zu kämpfen. Nur die Burg von Eger wurde 1552 von ihrem Burghauptmann István Dobó mit nur 2000 Mann gegen eine riesige Übermacht erfolgreich verteidigt. Der königstreue István Dobó wurde danach der neue Woiwode von Siebenbürgen – Burg Eger fiel später doch noch an die Türken – aber dies ist schon wieder eine andere Geschichte.
Unsere Geschichte setzt im Jahr 1533 ein. Dabei hält sich Gárdonyi ziemlich eng an die historischen Tatsachen:
Zwei Kleine Kinder, Gergő Bornemissza, ein armer Waisenjunge und seine Spielkameradin Éva Cecey, Tochter des Gutsherren, plantschen in einem Bach, werden von Türken überrascht, gefangen genommen und in einen ganzen Trupp künftiger Sklaven eingereiht. Der Führer des Gefangenentransports ist der Janitschare Jumburdschak. Gergő gelingt es, mit Éva aus dem Lager zu fliehen und Ceceys Dorf vor den Türken zu warnen. Es gelingt, die Türken zu besiegen und die Gefangenen zu befreien. Gergő ist der Held des Tages und soll deshalb vom Magnaten Bálint Török erzogen werden. Zu den Gefangenen gehört auch Pfarrer Gábor Somogyi, der Jumburdschak vor den erbosten Freigelassenen in Sicherheit bringt. Dafür gibt ihm dieser seinen Talisman, einen Ring mit einem ungewöhnlichen schwarzen Stein. Dieser Talisman hätte dem Türken in allen Kämpfen schützen und ihm Glück bringen sollen. Pfarrer Somogyi bringt Gergő zu Török, auf dessen Burg Sziget. Dort genießt der Junge in den nächsten Jahren Wohlstand, eine gute schulische Ausbildung, Sprachenkenntnis und eine militärische Ausbildung.
1541, Gergő, jetzt Gergely ist ungefähr 15 Jahre alt, da stirbt König János; sein Sohn ist noch ein Säugling. Die Türken nehmen Buda ein. Gergely ist mit Pfarrer Somogyi unterwegs; sie wollen den Türkenzug und mit ihm den Sultan in die Luft sprengen. Das Attentat misslingt, der Sultan war doch nicht im Zug gewesen. Somogyi stirbt schwer verwundet, kann aber Gergely vorher noch den Talisman anvertrauen. Der junge Mann gerät wieder in Gefangenschaft. Da er türkisch versteht, kann er sich mit einem Soldaten verständigen, der ihm zur Flucht verhilft. Er reitet nach Buda, an Töröks Hof. Dort trifft er auch Éva wieder, die inzwischen am Hof von Königin Isabella aus- und eingeht und mit dem kleinen Königsknaben spielen darf. Die Beiden erneuern ihr Versprechen, einander zu heiraten. Der Sultan hatte seine Zelte in der Nähe von Buda aufschlagen lassen und die Magnaten freundlich eingeladen, um seine guten Absichten zu demonstrieren; unter ihnen den misstrauischen Bálint Török, Frater Georgius und Péter Petrovics. Alle kehren zurück, nur Bálint Török, der „ungarische Löwe“, wird als Gefangener mitgeführt. (Anmerkung: Bálint Török war ein Vorfahr des z. Zt. amtierenden Präsidenten des deutschen Schriftstellerverbandes, Imre Török).
In Konstantinopel wird Török in einem Burgschloss gefangen gehalten. Mit ihm der Siebenbürger Magnat István Maylád, der sich dem Sultan lange Zeit widersetzt, zu Ferdinand gehalten und dann doch János I. Partei ergriffen hatte.
Gergely brennt darauf, für seine Heimat Ungarn zu kämpfen. Zuvor erfährt er, dass seine Éva wider ihren Willen verheiratet werden soll. Er entführt sie und zu dritt versuchen sie mit Töröks Sohn János, Bálint aus Konstantinopel zu befreien. Ein wildes Abenteuer der drei Freunde in Verkleidung folgt. Die Befreiung misslingt und Jumburdschak kann sich wieder auf ihre Fährte setzen; denn er vermutet seinen Talisman bei Gergely.
Das Kapitel „Eger in Not“ beschreibt die Kämpfe um die Grenzburg Eger 1552. In den Jahren davor waren viele Städte und Burgen in die Hände der Türken gefallen. Zuerst Buda und Esztergom dann ganz Südungarn. Aber nicht nur die Türken rauben und morden und fordern ihren Tribut, auch Ferdinand kämpft immer wieder gegen die Jánostreuen Ungarn. Der Protestantismus breitet sich in Ungarn aus – inzwischen kämpft fast jeder gegen jeden aus den unterschiedlichsten Gründen. Das ganze Land ist so zerstritten, dass sich die Türken als Tribut fast alles nehmen können, sogar Kinder.
Gergely ist inzwischen nach Eger gezogen, um die Burg zu verteidigen. In seiner Heimat Sopron taucht Jumburdschak unerkannt auf und kann seinen Sohn Jáncsi entführen; er will ihn in Eger gegen seinen Talisman eintauschen. Voll Angst reist Éva, als Mann verkleidet, zusammen mit einem Studenten Richtung Eger. Gergely, jetzt Leutnant hat von alledem keine Ahnung. Er bereitet sich auf der Burg mit den Verteidigern und der ganzen Bevölkerung, die in der Burg Schutz gesucht hat, auf Angriff und Belagerung der Türken vor. Aufgeben kommt für sie nicht in Frage! Die Angreifer kommen in riesigen Scharen. 200 000 schreibt Gárdonyi, gegen 2000 Ungarn. Ein furchtbares Gemetzel hebt an. Die Ungarn sind listig und wollen ihr Land verteidigen. Die Türken haben viele Menschen aufzubieten, kennen aber die Kriegstechniken der Ungarn nicht. Neue Techniken werden auf beiden Seiten erfunden. Boten können unerkannt immer wieder in die Burg schlüpfen um immer wieder zu melden, dass vom Kaiser in Wien noch nimmer keine Truppen zu sehen seien – aber sicher bald! Bis zum Ende ist die Mannschaft in Eger auf sich allein gestellt. Buchstäblich in letzter Minute, als sich die Krieger schon zum allerletzten Kampf bereit machen, greifen die Frauen von Eger mit kochendem Wasser und heißem Pech ein. Zusammen mit den wenigen verbliebenen Kämpfern können sie die Angreifer vertreiben. Auch Éva ist inzwischen eingetroffen und kämpft mit.
Gárdonyi beschreibt die Kämpfe, die inneren und äußeren Spannungen äußerst farbig, drastisch und realitätsnah. Der Leser erfährt detailtreu viel vom Leben und Kämpfen in Ungarn im 16. Jahrhundert, von Kampftechniken und diplomatischen Verwicklungen. Natürlich ist dies ein sehr patriotischer Roman, bei dem das Hauptaugenmerk auf den ungarischen Freiheitswillen, auf die ungarische Tapferkeit und Treue gelenkt wird. Gárdonyi versteht es, die Spannung bis zum Schluss zu halten.
Dem Buch würde allerdings eine neue zeitgemäße Übersetzung gut tun – um auch deutsche Jugendliche für dieses mitreißende Buch zu gewinnen. Es führt ja ein gutes Stück in die ungarische Geschichte ein. Schön und hilfreich wäre es auch, wenn Karten, z. B. in den Buchdeckeln abgebildet wären, von Ungarn während der Türkenkriege – und ein Grundriss der Burg Eger, von dem im Buch so oft die Rede ist. In der Ausgabe „Tödlicher Halbmond“ sind wenigstens einige Fotos von Waffen und türkischen Zelten zu sehen, sowie der Grundriss der Burg Eger.
Alles in allem, auch heute noch ein empfehlenswertes Buch, auch für Nichtungarn.

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