Rezension: Rubin, Szilárd – „Eine beinahe alltägliche Geschichte“

Roman
Aus dem Ungarischen von Andrea Ikker
Verlag: Rowohlt, Berlin, 2010
ISBN: 978-3-87134-688-0
Originaltitel: Római Egyes
Bezug: Buchhandel, Preis: 16,95 Euro

„Alternder, geistesgestörter Junggeselle, väterlicherseits jüdisch-galizischer Abstammung, mieses Einkommen, schwere Wirbelverkalkung und chronisches Hautleiden, sucht zwecks Heirat junges, knabenhaftes Mädchen, Typ Nymphe, vorzugsweise aus alter Offiziersfamilie, mit überdurchschnittlich gutem Verdienst. Zuschriften unter der Chiffre: >Gern auch Mädchen aus der Provinz<“.
Mit diesem Vorschlag eines Inserats charakterisiert der Drehbuchautor Ali Baksay seinen Freund Levente Rostás ziemlich gut – und macht sich gleichzeitig lustig über ihn. Selbstmitleid und Obsession seines Freundes gehen ihm auf die Nerven. Der alternde Schriftsteller ist der Icherzähler dieses melancholischen Romans. Sie ist Zahnärztin, eine unberechenbare, spröde Mädchenfrau, die Kakteen züchtet und Bücher über Porzellan sammelt. Außerdem chauffiert sie einen Wartburg, der Levente „mit hundertfacher Gewalt in seinen Bann“ zieht – solch einen Rausch beschert ihm das Autofahren. Die siebenundzwanzigjährige Piroschka Benkő wird als „Raubkatze“ beschrieben, „die Großwild jagen“ wolle, doch durch ihre schlechte Nase immer wieder auf Tagediebe hereinfalle. Levente will sie unbedingt heiraten – und fragt sich doch, ob er dann noch er selbst bleiben könne, der ewige kleine Junge, der nicht erwachsen werden will. Die junge Frau hat ihm zum anstehenden Geburtstag ein missverständliches Telegramm übermitteln lassen.
Kommt sie nun, oder schreibt sie nur? Am Tag vor diesem vierundvierzigsten Geburtstag erwartet Levente zwischen Hoffung und Zweifel ihren Besuch. Sie hatte ihn, nicht zum ersten Mal, kurz vor seiner Abreise nach Harkány in eine Kurklinik verlassen. Während er sich abzulenken versucht, taucht er in seine Kindertage ein.
Selbstironisch beleuchtet er den tollpatschigen Jungen, der er war, doch immer wieder schiebt sich seine aussichtslose Liebe zu Piroska zwischen die Erinnerungen. Schon früher hatte sie sich Leventes Nachstellungen nicht ergeben wollen, ihn kaltblütig abblitzen lassen, obwohl doch sie es war, die zuerst mit dem Dichter angebändelt hatte. Bei Wind und Wetter hatte er ihr aufgelauert, sich Rheuma, kranke Bandscheiben und ein Hautleiden geholt. Deshalb hatten ihn seine Freunde Ali Baksay und der bekannte Schriftsteller Laci Martinszky schon einmal aus ihrer Nähe gelotst, in eine Kurklinik nach Karlsbad, als dort gleichzeitig Filmfestspiele abgehalten wurden.
Der Erzähler spart nicht mit ironischen Seitenhieben auf das sozialistische Alltagsleben. auf die Möchtegern-Weltmänner aus Ungarn und die nonchalanten, verwöhnten französischen Stars. Irgendwann war dann Piroska nach einer weiteren missglückten Ehe wieder zurückgekommen, noch immer auf der Suche nach dem Mann. Nun sitzt Levente grübelnd in seinem Zimmer, in der Badewanne, oder macht gelangweilt Spaziergänge. Er erzählt von seinem Leben als mittelmäßiger Journalist und Schriftsteller, der es zu nichts bringt, weil er sich dauernd von seinen Begierden ablenken lässt. Von seiner Einsamkeit, die aber doch ein einlullend-angenehmes Gefühl in ihm verursacht, dem er sich gerne hingibt.
Er lässt das Leben im Ungarn der Nachkriegszeit durchblitzen, erzählt ausführlich von den Vertreibungen der Ungarn aus Oberungarn, der heutigen Slowakei, und von der Vertreibung der Deutschen.
Er erzählt letztlich vom Leben einer entwurzelten Generation, die im Krieg die Familie – und danach den Besitz verloren hat. Hinreißend sind die Geschichten in der Geschichte, die er über sich selbst, seine Familie und seine Freunde erzählt, dabei Vergleiche und Zitate aus Literatur und Film zieht. An seinem Geburtstag bekommt er eine Karte von Piroska. Einsam in seiner Wanne sitzend, sieht er sich als kleinen Jungen, der mit der Dompteurin Prisca Tiger bändigt. Piroska kann er nicht bändigen. Diese beinahe alltägliche Geschichte von zwei Menschen, die sich immer wieder umkreisen, aber nicht zueinander finden können, die ihr Leben mit der Jagd nach verschiedenen „Idealen“, die aber Obsessionen sind, verplempern, ist hier ganz einmalig dargestellt. Sie zieht den Leser bis zur letzten Zeile in eine Spirale, der er sich nicht entziehen kann. Uns Lesern bleibt zu hoffen, dass noch weitere Romane des leider 2010 verstorbenen Dichters gefunden, übersetzt und publiziert werden.

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