Rezension: Gahse, Zsuzsanna – „Donauwürfel“

Lyrik
Verlag Edition Korrespondenzen, 2010
ISBN: 978-3-902113-69-6
Bezug: Buchhandel; Preis: Euro 18,50

Donauwürfel – Erzählgedichte. – In 27 Würfeln (10 Zeilen zu 10 Silben bilden ein Quadrat, 10 Quadrate sind ein „Donauwürfel), bedenkt, besingt, beleuchtet Zsuzsanna Gahse die Donau, „Europas Rückgrat.
Denkt man bei Wasserwürfeln nicht zuerst an Eiswürfel? Gahses Würfel sind aber nichts Starres; Kaltes, Eckiges; sie fließen mal ruhig, überschlagen sich dann mit den Wellen des Flusses, steigen empor, treten über die Ufer, schwellen wieder ab. Ihre Donauwürfel sind munter rollende, vorwärts schießende, geschmeidige Würfel, die uns von den Quellen der Donau, die am Zusammenfluss von Brigach und Breg „vor unseren Augen entsteht“ und noch so gar nichts Donaumäßiges an sich hat –bis zur Deltamündung tragen, wo die Wassermassen sich ins Schwarze Meer hineinfluten.
Auf Karten sieht die Donau mit ihren Zuflüssen aus wie ein Fischskelett, Europas Rückgrat führt erst ostwärts, dann geradewegs südlich und gelangt dann zum Meer.
„Wenn ich die Donau sehe, sehe ich die
Donau, aber ich habe für sie nicht
mehr Wörter, als ich ansonsten kenne.“
Alle diese Wörter, die sie kennt und noch einige, neu erfundene, setzt die Dichterin ein, um die Donau und das Leben in, auf und an ihren Ufern zu erkunden:
Gedanken und Beobachtungen folgen dem Fluss bis zur Mündung, kehren wieder um, ziehen Schleifen wie der Fluss, verweilen, eilen weiter, sehen die zusammenströmenden Flüsse, z.B. in Passau die braune Ilz, den silbrig-grünen Inn und die blaue Donau. Solch einen gewaltigen Fluss kann niemand auf einmal erfassen, man muss ihn abschnittweise immer wieder von neuem erkunden. –
Wie strömendes Wasser kommen der Autorin Assoziationen, Gedankensprünge wie Welle um Welle, die sie abschweifen lassen und doch immer wieder zum Fluss zurückbringen. – Wasser und Sprache fließen ständig, schwellen auf und ab, melodiös, unablässig. Sie erforscht die Zuflüsse und ihre Quellen, richtet den Blick vom Ufer aus auf die Donau – und von den Donauschiffen auf den Anblick der Städte mit ihren endlosen Fensterquadraten, den fest gefügten Kais, auf die freie Landschaft mit natürlichen Ufern.
Gahse besingt die Donau, mal versonnen-spielerisch von Städten und Ortschaften an den Ufern, mal nachdenklich-ernst vom Strömen des Flusses durch Niemandsland, als Grenzfluss, an dessen Ufern vor einigen Jahren noch heftig gekämpft und Brücken gesprengt wurden, mit der Folge, dass sich heute ein wirtschaftlicher Flussverkehr nicht mehr lohnt.
Ihre Gedanken können sich nicht lösen vom Schicksal einzelner Menschen, die sie gekannt, von denen sie gehört hat – von Volksgruppen die ins Wasser der Donau geschossen wurden – von Selbstmördern, Hochwasseropfern und Schiffersfrauen, die Angst vor dem mächtigen unberechenbaren Wasser haben. Erinnerungen werden in ihr wach an ihre Kindheit, als sie noch in Budapest lebte und der Fluss zu ihrem täglichen Leben gehörte. Sie hat sich schon früh westwärts wenden müssen. Heute machen das viele, deren Sehnsucht nach dem Westen geht. Das Denken an der Donau verändert sich und damit die Sprache, Wörter verschwinden und werden durch englische ersetzt. „Die Menschen ziehen gegen die Flussrichtung und pfeifen auf ihre Ostdonau“.
Die Dichterin macht uns bekannt mit den verschiedenen Wasserschichten, mit Fischen und anderen Tieren, mit Pflanzen, die im Strom leben. Atemlos sind ihre Aufzählungen von wunderbaren und geheimnisvollen Fischnamen. – zahlreich die vielen Flussnamen, die so ähnlich klingen wie Donau – und alle nichts anderes bedeuten als Fluss, als „Großes Wasser“.
„Gute Donau, feines Krokodil aus Wasser, Tausendfüßler, ein Urviech, das sich viel gefallen lässt, gutes altes Rückgrat!
Sie muss auch einiges erdulden, die Donau: Nicht nur den Unrat, der mit ihr schwimmt, den herausgerissenen Bäumen, wenn Hochwasser über die Ufer tritt, sie wird unterführt von der Metro in Budapest, so dass sich ein West- und Ost, für das man noch beim Überqueren der Brücken ein Gefühl hat, erübrigt. Sie muss auch lernen, die Donau: Lernen seit ihrem Anbeginn sich ein Bett zu graben, freie Uferflächen immer wieder zu verändern, sich gefangen zu geben zwischen betonierten Ufereinfassungen.
Es gibt „eine Winterdonau, zusammengepresst, die Eisplatten schieben sich – Dunkelheit an den Ufern“ – doch im Frühling steigt das Wasser, ufert aus bis zur Überflutung. Dann ist es reißend und gefährlich, begräbt alles unter sich.
Auch der Albtraum ist nicht fern: Eine versickernde Donau: Forscher suchen nach der Lebensader Europas, finden jedoch nur ein schlammig-braunes Flussbett, – bis auf einmal die Donau mit Wucht zurückkommt, so dass sich die Suchenden kaum noch vor ihr retten können.
Jetzt aber schickt die Dichterin sich an, die Donau bis ins Delta zu bereisen mit dem Schiff. Das Eiserne Tor kennt sie noch nicht und vieles andere auch nur aus Geschichten und von Bildern. Auf jeden Fall hat sie vor, die Donau weiter zu untersuchen, sie näher kennen zu lernen, auch die Quellbäche, alles Wasser alle Quellen, die zur Donau hin laufen. Die Reise beginnt.
Diese „Donauwürfel“ machen richtig Lust, selbst auf die Reise zu gehen, tatsächlich oder virtuell um „das Rückgrat Europas“ näher zu erkunden.

© Gudrun Brzoska

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